Eine herausragende Position nimmt der Konzertmeister im Orchester ein. Verstehen kann man diesen Musiker als die Schnittstelle zwischen dem Orchester und dem Dirigenten insbesondere in künstlerischen Belangen. Üblicherweise handelt es sich dabei um den Stimmführer der ersten Geigen. Aber wozu wird er benötigt und welche Aufgaben hat er, außer der Leuchtturm des Orchesters zu sein? Wir schauen genauer hin.
Check it: Konzertmeister im Orchester
- Nicht jeder kann die erste Geige spielen
- Schnittstelle zwischen Orchester und Dirigent
- Struktur und klangliche Ordnung
- Hohe Verantwortung auf dem musikalischen Buckel
- Position zwischen gestern und heute
- Hohe Bedeutung als Solist und Orientierung
Konzertmeister im Orchester – treffend auf den Punkt gebracht
Das Statement des Komponisten Robert Schumann aus dem 19. Jahrhundert ist legendär und bringt es auf den Punkt: „Wenn alle die erste Geige spielen wollen, kommt kein Orchester zusammen“. Für das weniger kundige Publikum mag es so aussehen, als seien in einem klassischen Orchester alle Musiker gleichwertig. Schließlich gibt es kein Instrument, auf das man verzichten könnte. Aber so ist es beileibe nicht. Vielmehr gibt es im Orchester eine klare Rangordnung. Es ist wie im normalen Leben: Alle sind gleich, aber manche sind eben gleicher als andere.
Stellvertretend fürs Orchester per Handschlag begrüßt
Der Konzertmeister im Orchester folgt in der Hierarchie gleich nach dem Dirigenten. In der Regel handelt es sich dabei um den am ersten Notenpult sitzenden Stimmführer der Gruppe der 1. Violinen. Häufig und üblicherweise fungiert der Konzertmeister als Vertreter des gesamten Orchesters. Diese Position ist so geachtet, dass er stellvertretend für das Orchester vor dem Konzert vom Dirigenten per Handschlag begrüßt wird. Nach dem Begrüßungsvorgang fordert der die Musiker zum Setzen auf und leitet das Einstimmen ein.
Stimmführer und weitere Dienstbezeichnungen
Große Orchester leisten sich sogar mehrere Konzertmeister. Dabei handelt es dann um die Stimmführer der zweiten Violinen, der Bratschen und der Violoncelli. In der Rangordnung folgen der stellvertretende Konzertmeister, die Vorspieler und die Tuttigeiger. Bei den anderen Streichergruppen ist die Einteilung vergleichbar, nur eben mit anderen Dienstbezeichnungen und geringerer Anzahl. Bei den 2. Violinen gibt es Stimmführer und Vorspieler, bei den Bratschen nennt sich das Solobratscher und Vorspieler, weiter geht es nach diesem Prinzip bei den Violoncelli und Kontrabässen.
Es geht um Struktur und klangliche Ordnung
Wenn derart viele Instrumente wie in einem Sinfonieorchester zusammenspielen, muss man schon gehörig aufpassen, keinen Matsch zu produzieren. Immerhin sprechen wir von bis zu 16 ersten Geigen, die gleichzeitig zum Einsatz kommen können. Das verlangt nach Struktur, bester Organisation und filigraner Abstimmung. Eine Leitfigur muss her, ein musikalisches Alphatier. Der Konzertmeister ist zunächst nichts Geringeres als der Chef der ersten Geigen.
Erste oder zweite Geige ist kein Qualitätskriterium
Dabei darf man die Besetzung als erste oder zweite Geige nicht als Qualitätsmerkmal verstehen. Die eine Gruppe ist nicht besser oder schlechter als die andere. Die zweiten Violinen spielen nur lediglich eine andere Stimme. Wo man seinen Platz bekommt, hängt also nicht vom individuellen Können ab. Vielmehr ausschlaggebend ist, ob und wo eine Stelle frei ist und neu besetzt werden muss. Zumal die ersten Geigen die führende Stimme übernehmen, erhält auch der Chef der ersten Geigen die Funktion des Konzertmeisters. Dabei übernimmt er zudem die Violinen-Soli und koordiniert das Spiel der ersten Violinen. Nicht selten ist – je nach Stück – der Part der ersten Geigen schwieriger zu spielen als der der zweiten Geigen.
Höchstleistungen durch Konzentration und nonverbale Kommunikation
Das Orchester bringt dann Höchstleistungen, wenn jeder Musiker diszipliniert und konzentriert seine eigene Stellung im Gesamtwerk durchhält und sich zugleich auf die mit ihm spielenden Musiker einstellt. Einen beträchtlichen Anteil dieser Abstimmung übernimmt der Konzertmeister. Letztlich geht es dabei um die Kommunikation einerseits innerhalb des Orchesters, aber auch um die Abstimmung mit dem Dirigenten. Oftmals ist es so, dass etliche Orchestermusiker außer auf den Dirigenten vor allem auf den Konzertmeister blicken. Immerhin ist er in unmittelbarer nonverbaler Kommunikation mit dem Dirigenten für die Einsätze zuständig. Und das hat sogar einen musikgeschichtlichen Ursprung.
Im Barock war der Konzertmeister zugleich der dirigierende Leiter
Tatsächlich gab er im Barock noch keinen Dirigenten. Zur Zeit des 18. Jahrhunderts wurde das Orchester – damals waren es üblicherweise noch Kapellen – von der Geige oder dem Cembalo geleitet. So dirigierte beispielsweise kein Geringerer als Johann Sebastian Bach noch mit der Geige in der Hand. Das soll und darf die Bedeutung des Dirigenten keinesfalls schmälern; vielleicht kann man den Konzertmeister als handwerklich-musikalische Leitung verstehen, den Dirigenten als das inspiratorische, interpretative I-Tüpfelchen, das Aushängeschild und den organisatorischen Leiter des Orchesters begreifen.
Eine Menge Verantwortung auf dem musikalischen Buckel
Der Konzertmeister trägt eine gute Portion. Das zeigt sich beispielsweise mit einem kleinen Blick auf die musikalischen Realitäten in einem Orchester. Blicken wir auf die ersten Geigen, können Orchester allein dort mit bis zu 16 Violinen besetzt sein. Auch bei größter Konzentration kann es durchaus mal passieren, dass jemand kurz den Faden verliert. Spielt er weiter hinten sitzend ein paar Töne nicht, fällt das weder dem Publikum noch dem Dirigenten auf. Schließlich sind noch genügend andere vorhanden, die sich nicht vom Weg abbringen lassen. Es ist also durchaus möglich, sich für Augenblicke zu verkriechen. Nicht so für den Konzertmeister. Aufgrund seiner leitenden Funktion darf er sich keine Aussetzer leisten.
Eine Position, die oftmals auf Jahrzehnte besetzt ist
Die Position des Konzertmeisters im Orchester ist eine, bei der gestandene Musiker in ihrer Karriere viel Geduld aufbringen müssen. Diese Stellen gibt es keinesfalls wie Sand am mehr, stattdessen ist es eine Spitzenposition, die von den allermeisten nie erreicht wird. Ein Beispiel gefällig? Der in Polen geborene Geiger Daniel Stabrawa wurde 1983 Mitglied der Berliner Philharmoniker. Drei Jahre später übernahm er die Position als erster Konzertmeister im Orchester. Und zwar für satte 35 Jahre!
Er war bekannt für seine Sicherheit und Souveränität, stellt sich uneitel in den Dienst der Sache und war in seinen Soli berührend. Sein Abschiedskonzert, mit dem er sich in Ruhestand verabschiedete, musste er leider vor leeren Rängen spielen, pandemiebedingt ohne Publikum. Er hatte Tränen in den Augen, aber ohne Konzertbesucher war es ein etwas unspektakulärer Abschied.
Bei Bedarf kann er den Dirigenten bei den Proben vertreten
Für das bessere Verständnis sollten wir an dieser Stelle nochmals betonen, dass der Konzertmeister natürlich nicht nur die Aufgabe als starker Baum im Wind während der Aufführungen hat. Auch bei den Einzel-, Gruppen- und Gesamtproben hat er eine herausragende Stellung. Bei Bedarf vertritt er sogar den Dirigenten bei den Orchesterproben. Unter den Musikern selbst wird nicht selten geunkt, der Konzertmeister sei für die Leitung und das Zusammenspiel der einzige Unverzichtbare. Der halte zusammen, was der Dirigent mit seinem Stab durcheinanderfuchtelt.
Es geht nicht um Bürokratie, es geht um Zusammenspiel
Zwischen den Zeilen hört sich das teilweise danach an, als bestünde ein Orchester aus festangestellten Bürokraten, die sich lediglich um ihre Besoldungsstufe kümmern und lediglich handwerklich abliefern. Natürlich ist exakt das Gegenteil der Fall. Zwar sind die Musiker – so auch der Konzertmeister im Orchester – festangestellt und werden sogar nach Tarif bezahlt. Aber selbstverständlich haben allesamt ihren Beruf mit einer gehörigen Portion Herzblut ergriffen.
Andernfalls hätten sie es sicherlich nicht über Jahre und Jahrzehnte und mit entsprechendem Studium durchgehalten, sich eine derartige Perfektion zu erarbeiten. Diese Magie, die beim perfekten Zusammenspiel entsteht, ist etwas unvergleichlich Schönes, etwas Berauschendes mit purem Gänsehautfaktor. Und dafür ist die strukturierte Koordination nun mal unabdingbar. Die Musiker benötigen eine Figur, auf deren Können und Souveränität sie sich auch in den komplexesten Werken vertrauensvoll verlassen können – musikalisch als auch menschlich. Exakt das ist die Anforderungen an einen Konzertmeister im Orchester.
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