Die Kehrseite des Traumberufs: Musikerkrankheiten

Überlastungen vermeiden lernen

| Foto: Shutterstock von Stokkete

Die Musik zum Beruf zu machen und die Brötchen als bewunderter Profi zu verdienen, ist für viele ein Traum. Die Faszination der Musik mit all ihren Facetten und erfolgreich bejubelten Momenten zu leben und zu erleben, ist die eine Seite der Medaille. Die Schattenseite ist, dass professionelle Musiker überproportional von spezifischen Krankheiten betroffen sind. Es gibt einen effizienten Schutz vor Musikerkrankheiten:

Check it: Musikerkrankheiten vermeiden

  • Hinter die Kulissen geblickt
  • Genreübergreifend hochgradige Anforderungen
  • Problematik des Leistungsdrucks
  • Pausen sind Musik und gesundheitserhaltend
  • Optimale Körperwahrnehmung frühzeitig lernen
  • Prävention für das erfolgreichen Musikerleben

Musikerkrankheiten – Resultat eines Lebensgefühls?

Grundsätzlich ist es eine wunderbare Sache, wenn man für sein Hobby auch noch bezahlt wird. Letztlich ist es doch genau das, was wir uns alle von unserem Job erhoffen. Ist der Job vollkommen deckungsgleich mit unseren privaten Interessen, kann es beruflich eigentlich nichts Schöneres geben. Sicher, auch dann wird es weniger angenehme Augenblicke und Situationen geben, in denen wir alles gegen die Wand kloppen wollen. Doch das Positive überwiegt. Musik ist kein Handwerk, sondern ein Lebensgefühl. So sehen das zumindest Außenstehende, die keine Vorstellung von den damit verbundenen Strapazen haben.

Höchstanforderungen vergleichbar mit Artisten und Profisportlern

Tatsache ist, dass Musiker bei ihrem künstlerischen Job enormen Belastungen ausgesetzt sind. Vergleichbar sind die Anforderungen mindestens mit denen von Hochleistungssportlern. Das betrifft die physiologischen und physischen Herausforderungen gleichermaßen. Nur verabschieden sich beispielsweise Fußballprofis etwa im Alter von Mitte bis Ende 30 von ihrem Job und suchen sich eine körperfreundlicher, weniger verletzungsriskante Tätigkeit. Musiker nicht. Die spielen weiter und riskieren das Entstehen von Musikerkrankheiten.

Höchstleistungen wie in Sport oder Artistik | Foto: Shutterstock von Master1305

Ob Klassik oder Rock und Co.: Stress will bewältigt werden

Fakt bleibt, dass der Job genreübergreifend harte Arbeit ist und reichlich Stress mit sich bringt. Obwohl es oftmals chaotisch und zeitkritisch wird, hat dieser Stress nicht die Bedeutung von Hektik. Vielmehr geht es um dauerhafte, hochgradig präzise Koordination von Gehirn, Körper und Instrument. Und zwar sowohl beim Üben und Proben als auch in oftmals mehrstündigen Konzerten.

Die merken es nicht, weil sie es nicht merken sollen

Auch die unmittelbar körperliche Anstrengung fällt dem geneigten Publikum nicht auf. Darf sie auch nicht. Musiker präsentieren ihren Zuhörern die Illusion der Leichtigkeit, der talentgegebenen Virtuosität, der leichten, lockeren und artistischen Perfektion. Persönliche Schmerzen, haben abseits der Dramaturgie on Stage, im Orchestergraben und in den Inszenierungen nichts zu suchen. Was dem Körper abverlangt wird, zeigt ein Versuch, bei dem nach einem dreistündigen Konzert die Sehnen und Muskeln von professionellen Geigern gemessen wurden: Die waren um mehr als zehn Prozent angeschwollen.

Das Publikum weiß nicht, was in den Musikern vorgeht | Foto: Shutterstock von wavebreakmedia

Musiker bei etlichen Versicherungen als Risikogruppe eingestuft

Bei Musikerkrankheiten sprechen wir vornehmlich von Krankheiten, die sich größtenteils aus Überlastungen unterschiedlichster Art und instrumentenbedingter Fehlhaltung ergeben. So unterschiedlich die Instrumente, so speziell sind auch die körperlichen Erkrankungen. Und die sind reichlich. Fast jeder achte Musiker beendet sein Berufsleben aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig. Von manchen Versicherungen werden Musiker sogar als Risikogruppe eingestuft.

Leistungsdruck durch den Zwang zur Perfektion

Die seelische Belastung ist immens. Nicht nur bei Konzerten ist immer der Druck vorhanden, perfekt abliefern zu müssen. Jeder Ton, jeder Lauf, jede Passage muss fehlerfrei gespielt werden. Und zwar nicht nur einmal, sondern in der Probe und bei jedem Konzert immer wieder und wieder. Augen und Ohren des Publikums sind auf die Musiker gerichtet, die sich keinerlei Fehler erlauben dürfen. Die Zuhörer und Konzertbesucher erwarten und verlangen Fehlerfreiheit. Die Psyche ist im unentwegten Alarmzustand. Kurioserweise kann sogar die Aufmerksamkeit des Publikums für seelische Musikerkrankheiten sorgen.

Der hausgemachte Seelenstress

Hinzu kommt der selbstauferlegte Druck, ständig immer besser werden zu wollen und die Fähigkeiten auf höchstem Niveau zu halten. Abgedrehte und höchst komplizierte Passagen werden hundert- bis tausendfach geübt, bis die – ohne nachzudenken – aus den Fingern und dem musikalischen Gedächtnis abgerufen werden können. Hat der Musiker den galaktischen Sprint abgeliefert, folgt auch schon der nächste. Pausenlos hochkonzentriert werden sämtliche Sinne und die Feinmotorik synchronisiert. Höchste Anspannung, zugleich verbunden mit Versagensängsten.

Auch Lampenfieber kann krankhaft sein

Ein der Allgemeinheit besser bekanntes Phänomen ist das Lampenfieber. Vermutlich deshalb, weil wir solche Situationen aus anderen Zusammenhängen kennen. Beispielsweise dann, wenn wir in der Schule,  beim Studium oder sonst wo vor vielen Menschen sprechen müssen. Wer hat nicht schon mal angefangen, zu stammeln oder  zu stottern. Profimusiker treten vor weitaus größeren Menschenmengen auf. Die Knie schlottern, die Finger zittern. Manchen Sängern versagt die Stimme.

Selbst gestandene und absolut routinierte Musiker erleben solche Angstzustände. Geschätzt wird, dass ungefähr 40 Prozent unter Aufführungsängsten leiden. Die Dunkelziffer ist schwer einzuschätzen, weil dieses Thema für viele ein Tabu ist. Gesprochen wird über solche Musikerkrankheiten selten. Aber die Show muss weitergehen. Und ehrlich gesagt, empfinden viele Musiker leichtes Lampenfieber auch als den speziellen Kick mit Suchtfaktor.

Musikinstrumente sind bauartbedingt nicht haltungsfreundlich

Instrumentenbauer haben sich seit jeher zunächst an den klanglichen Aspekten orientiert und allenfalls im Anschluss daran ein wenig an der Anatomie der Musiker. Selbstverständlich gibt es beispielsweise bei der E-Gitarre das sogenannte Shaping, wodurch sie sich komfortabler halten und spielen lässt. Und natürlich ist auch bei Streich- oder Blasinstrumenten immer versucht worden, die Dimensionen der Bauteile haltungsfreundlich zu gestalten. Doch das jeweilige Instrument ist nun mal, wie es ist. Beim Spielen der Querflöte oder Violine muss der Körper verdreht werden, Tuba oder Waldhorn sind schwer. Und so geht es weiter.

Die bauartbedingte Körperhaltung macht den Ausschlag | Foto: Shutterstock von February_Love

Unterschiedliche Instrumente, spezielle Indikationen

Dabei stellt sich die Frage, welches Instrument auf welche Weise krank machen kann. Typisch beispielsweise für Geiger sind Schulter- und Halswirbelprobleme. Solche Symptomatiken ergeben sich aus der Bauweise des Instrumentes im Zusammenhang mit der Haltung. Beim Spielen beansprucht werden hauptsächlich die Handgelenke und Arme, beim Halten die Schulter mit meist schräg geneigtem Kopf. Auf lange Sicht können sich dadurch orthopädische Probleme ergeben.

Beim Cello ist der stützende Daumen maßgeblich für das kontrollierte Spielen verantwortlich. Der nimmt die Dauerbelastung nicht einfach hin. Ein typisches Problem, das sich bei Cellisten ergeben kann, ist die Arthrose im Daumensattelgelenk. Zudem wird der Mantel der Fingernerven von den dicken Metallsaiten malträtiert.

Typische Erkrankung von Cellisten: Arthrose Im Daumensattelgelenk | Foto: Shutterstock von Alenavlad

Bei Blasinstrumenten wieder können durch den erforderlich starken Ansatz leicht Zahnprobleme entstehen. Nicht zu vergessen, die Besonderheit des gleichzeitigen Ein- und Ausatmens, der sogenannten Zirkularatmung, die für ein erhöhtes Schlaganfallrisiko verantwortlich sein kann. Weitere Musikerkrankheit der Blasmusiker kann chronischer Herpes sein. Man passt zwar mit penibler Hygiene auf, dass die Instrumente optimal gereinigt sind, aber vollständigen Schutz gibt es nicht.

Sonderfall Musikerdystonie – wenn die Feinmotorik streikt

Eine berüchtigte unter den Musikerkrankheiten ist die Musikerdystonie. Wirklich keine schöne Angelegenheit, weil die Dystonie für viele das unmissverständliche Ende der Karriere bedeuten kann. Dabei handelt es sich nicht um eine rein körperliche Belastungsstörung, sondern um eine neurologische Bewegungsstörung.

Die Feinmotorik spielt nicht mehr mit, lange geübte Bewegungen werden plötzlich unkontrolliert. Die Finger nehmen Stellungen ein, die so nicht gewollt sind. Entgegen früherer Thesen geht man inzwischen davon aus, dass auch die Psyche einen bedeutenden Anteil daran hat, wenn die Motorik zum Zufallsfaktor wird. Ca. 20 Prozent dieser  Musikererkrankungen sind heilbar.

Kettenreaktionen können die negativen Auswirkungen noch steigern

Instrumentenbedingte Fehlhaltungen können für Schmerzen sorgen und Musikerkrankheiten begünstigen. Die lassen sich in den meisten Fällen noch behandeln. Fatal wird es, sobald eine Kettenreaktion einsetzt, wodurch solche Musikererkrankungen noch verstärkt werden. Beispielsweise der E-Bassist bemerkt auf der Bühne, dass das nicht zu unterschätzende Gewicht seines Instrumentes ihn langsam in die Knie zwingen will. Die Schmerzen und Verspannungen im Nackenbereich treten immer wieder auf, werden fortschreitend stärker.

Verspannungen gar nicht erst aufkommen lassen

Bis zu diesem Stadium ist nur der unmittelbar betroffene Bereich in Mitleidenschaft gezogen. Die richtige Reaktion wäre es, zu pausieren, sich zu entspannen und beispielsweise massieren zu lassen. Stattdessen spielt der Bassist weiter und nimmt eine (noch) nicht schmerzende Schonhaltung ein. Resultat ist, dass weitere Gelenke, Sehnen und Muskeln fehlbelastet werden. Das Spielen wird schwerer, auch dagegen arbeitet der Musiker an. Irgendwann hat dieses ständige Hinterherhecheln Auswirkungen auf den gesamten Bewegungsapparat. Schonhaltung führt zu weiteren Verspannungen, vorzeitigen Verschleißerscheinungen und Musikerkrankheiten.

Wenn die seelischen Dominosteine reihenweise kippen

Eine weitere problematische Kettenreaktion hält die Psyche in Atem. Auf den Druck der unbedingten Perfektion reagierend, verzeihen Musiker sich keine Fehler. Versagen ist keine Option, mit der man sich selbst durchlassen würde. Stattdessen werden die Musiker zusätzlich üben und das Trainingspensum weiterhin steigern. Die so wichtige Zeit für Entspannung wird knallhart beschnitten, die Versagensangst bestimmt das Unterbewusstsein. Und das wiederum antwortet mit Schmerz und Verspannungen.

Die Basis, um das faszinierende Musikerleben unbelastet zu genießen

Auf den ersten Blick klingt diese Auflistung der möglichen Musikerkrankheiten, als solle man von der Musik lieber die Finger lassen. Nein, ganz sicher nicht. Musik gehört zu den wunderbarsten Hobbys, der Musikerberuf zu den schönsten, interessantesten und erfüllenden Berufen überhaupt. Unbedingt wichtig aber ist der vernünftige Umgang damit. Und zwar von Anfang an. Und hier wird unsere Aufforderung dringlich:

Ist der Musiker erst mal in den Brunnen gefallen, wird’s kritisch. Damit Musikerkrankheiten auf ein verbleibendes Restrisiko reduziert werden, muss vorgebeugt werden. Und zwar ein Musikerleben lang. Es geht um nichts Geringeres, als eine Veränderung des Lebensstils. Zunächst müssen Musiker sich selbst und ihren Körper wahrnehmen. Sie müssen Überlastungen vermeiden und auf etwaige Überanstrengungen unmittelbar reagieren.

Die Lösung heißt Prävention und optimale Körperwahrnehmung

Unbedingt wichtig ist es für Musiker, ganzheitlich auf sich zu achten. Das hat nichts mit einem esoterischen Ansatz zu tun. Ganz im Gegenteil. Wie die Musik leben auch Körper und Seele von dem Zusammenspiel aus Anspannung und Entspannung. Hochbedeutend ist es als Prävention gegen Musikerkrankheiten, dem Körper die zwingend wichtigen Pausen zu geben. Unablässig und über viel zu lange Zeiträume zu üben, um die nächste musikalische Schallmauer auf dem Instrument zu durchbrechen, ist der grundsätzlich verkehrte Weg.

Umdenken und sich selbst so wichtig nehmen wie das Instrument

Das verlangt bei vielen nach einem Umdenken. Gerade wir Musiker definieren uns meistens über unser Instrument, den zuverlässigen Begleiter in sämtlichen Lebenssituationen, dem wir unsere Emotionen, Gedanken und tiefsten Geheimnisse anvertrauen. Der Zustand unserer Seele und des Körpers gerät leicht mal in den verschwiegenen Hintergrund. Wir machen uns darüber wenig Gedanken. Sobald die Spots angehen, sind wir leistungsstark. Weitaus deutlicher muss ins Bewusstsein gerückt werden, dass es einfach nicht möglich ist, ein Instrument zu spielen, wenn der Körper nicht mehr mitmacht.

Vorbeugung beginnt bereits im Schüleralter

Sehr gut ist, dass zahlreiche Musiklehrer die Zeichen der Zeit seit geraumer Zeit erkannt haben und entsprechend verantwortlich damit umgehen. Schon die Kleinsten werden behutsam ausgebremst, wenn sie zu offensiv üben. Die Lern- und Übungsintervalle werden kurzgehalten; es werden regelmäßige Pausen eingelegt. Auch werden die Entspannungspausen beispielsweise mit Lockerungsübungen gefüllt, die kleinen Musikschüler werden gelobt, etwa auch dafür, wenn sie selbstständig in den richtigen Augenblicken eine Pause einlegen. Es bleibt eine angenehme Atmosphäre, in der es um den Spaß an der Musik und nicht um das permanente „schneller, höher, weiter“ geht.

Die neue Musikergeneration weitsichtig vorbereiten

Vorbildlich deshalb, zumal in dieser Phase der Grundstein für ein mögliches Musikerleben gelegt wird. Durch diese Herangehensweise wächst eine Musikergeneration heran, die viel besser imstande ist, auf sich zu achten und damit Musikerkrankheiten zu vermeiden. Wer also nicht im fortgeschrittenen Alter von Musikerkrankheiten ausgebremst werden will, sollte sich bereits im Schüleralter mit berechtigtem Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl wichtig nehmen. Exakt das müssen ambitionierte Musikschüler frühzeitig lernen. Als Musiker musst du nicht nur dein Instrument beherrschen, sondern auch lernen, was für deinen Körper gut oder schlecht ist.

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Auch der mögliche Hörverlust gehört zu den häufigen Musikerkrankheiten. Dagegen kann man sich schützen. Auskunft gibt unser Artikel zum Thema: „Gehörschutz für Musiker – weil’s besser ist“.

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