Burn-In für maximale Soundausbeute: Muss man neue Lautsprecher einspielen?

Audiophiles Streitthema zwischen Mythos und Realität

| Foto: Shutterstock von PrinceOfLove

Spätestens in 2020 haben viele Musiker sich mit den Anforderungen von Home-Studios, Home-Recording, Streaming und Online-Schalten beschäftigt. Zur zweckmäßigen Ausrüstung gehören die Monitore. Aber klingen die sofort perfekt oder man neue Lautsprecher einspielen, bis sie ihre ganze Qualität beweisen? Die Meinung sind geteilt:

Check it: Muss man neue Lautsprecher einspielen?

  • Zielsetzung des Einbrennens
  • Auseinanderdriftende Meinungen
  • Wissenschaftlich nicht belegbar
  • Unterbewusstsein und Hörempfinden
  • Es spricht nichts dagegen

Lautsprecher einspielen, einbrennen, einfahren

Gerade im Hi-Fi-Bereich, in dem man gerne mal das vielzitierte Gras wachsen hört, ist es eine nicht unübliche Herstellerempfehlung, dass man Lautsprecher einspielen muss. Und ebenso gerne wird als Vergleich das neue Paar Schuhe herangezogen, die für den perfekten Sitz eingelaufen werden müssen. So sollen sich etwa die Gummisicken der Chassis als auch die elektronischen Komponenten im Lautsprecher durch diesen Vorgang etwas verändern.

Auch wird gesagt, die Membranen bekämen dadurch die erforderliche Flexibilität und Elastizität, würden optimal gedehnt und geweitet, wodurch die effektive Übertragung über das gesamte mögliche Frequenzspektrum ermöglicht werde. Im Web, in Foren, Zeitschriften und Buchformaten finden sich endlose Abhandlungen darüber, weshalb, wie und mit welchem Signal man neue Lautsprecher einspielen soll. Auch über die Dauer des Vorgangs.

Einrauschen wird empfohlen, auch andere Signale möglich | Foto: Shutterstock von Pavel Talashov

Abweichende Zeiträume für den Burn-in empfohlen

So sollen die Speaker über einen Zeitraum zwischen 12 und 48 Stunden bei mittlerer Lautstärke mit Rauschen bespielt werden; andere sprechen von mindestens 48 bis 72 Stunden und mehr. Da könnt ihr euch schon mal von den Nachbarn verabschieden und euch prophylaktisch einen Termin beim Psychiater eures Vertrauens holen. Keine Frage, das Dauerrauschen nervt gewaltig. Na ja, wenn’s sinnvoll ist, werdet  ihr und eure Katze das schon ertragen und die Lautsprecher einspielen. Aber ist es das wirklich? Oder bleibt die These ein Mythos?

Voodoo und Hörempfinden versus Wahrheit

Die Meinungen prallen aufeinander. Und – ganz ehrlich – so vollkommen auflösen lässt sich die Auseinandersetzung nicht. Für etliche Klangenthusiasten ist der Prozess des Einspielens der Lautsprecher unabdingbar. Und wirklich ist es so, dass z.B. manche Kopfhörer nach dem Vorgang des Einbrennens ihre Klangeigenschaften zum – hoffentlich – Positiven verändern, die ja gut als Referenzobjekte herangezogen werden könnten.

Tatsache ist, dass die Aussage bislang nicht wissenschaftlich fundiert belegbar ist. Zwar hat es Versuche gegeben, in denen neue Lautsprecher über lange Zeit eingespielten Modellen gegenübergestellt und gemessen wurden. Es zeigten sich minimale Differenzen, die aber nicht belegbar auf das Einspielen der Speaker zurückzuführen waren. Also auch hier kein Beweis, der den Mythos-Status widerlegen würde.

Mythos oder Wahrheit? | Foto: Shutterstock von PrinceOfLove

Auch kein gegenteiliger Beweis vorhanden

Auf der anderen Seite konnte mit diesen Messungen auch keine Aussage über einen möglichen Zustand der Lautsprecher für den Fall getroffen werden, wenn sie nicht eingespielt worden wären. Wären sie dann schlechter, immerhin waren sie bereits bis zu vier Jahre alt und zeigten allenfalls minimale Abweichungen. Zeigten sie trotz fortgeschrittenem Alter diese geringen Differenzen nur weil sie eingespielt waren? Die Antwort darauf kann nur eine Vermutung sein.

Korrekt ist, dass man das Chassis neuer Lautsprecher einspielen muss. Nötig ist dieser Vorgang dafür, damit die Zentrierspinne sich ausdehnt. Damit habt ihr allerdings nichts bei der erstmaligen Inbetriebnahme der Lautsprecher zu tun, zumal dieser Schritt bereits bei der Herstellung erfolgt. Auch handelt es sich dabei nicht um das typische Rauschen, sondern um Sinuswellen.

Zentrierspinne muss eingespielt werden | Foto: Shutterstock von fedoseevaolga

Sportliche Aufwärmphase bei elektrischen Geräten normal

Für das Einbrennen von Lautsprechern als auch Kopfhörern spricht sicherlich, dass die verbauten elektronischen Komponenten wie der Motor eines Autos zunächst auf Betriebstemperatur gebracht, wie die Muskeln, Sehen und Gelenke eines Sportlers aufgewärmt werden müssen, um die bestmögliche Leistung abrufen zu können. Gehen wir mal davon aus, dass ihr nicht gerade im Kühlschrank wohnt, sollten Speaker bei üblicher Zimmertemperatur sofort bei voller Soundausbeute funktionieren, ohne dass ihr die Lautsprecher einspielen müsst. Soviel zu den belegbaren oder eben nicht belegbaren Fakten.

Das subjektive Hörempfinden im Fokus

Wenn nun aber derart viele audiophile Genussmenschen davon überzeugt sind man müsse Lautsprecher einspielen, kann das nicht vollkommen unbegründet sein. Ganz bewusst wollen wir das nicht etwa eine akustische Glaubensfrage nennen, eher ein subjektives Empfinden. Betrachten wir das Thema doch mal aus einer anderen Perspektive:

Ist es nicht vielmehr die Frage, ob nicht eher die Ohren „eingespielt“ werden müssen? Der neue Lautsprecher hat eine andere Klangcharakteristik als der gewohnte. An diese Klangumgebung müssen sich die Ohren erst gewöhnen. Nun werdet ihr euch selbstverständlich keineswegs zwei oder drei Tage mit unablässigem Rauschen foltern. Das ist auch nicht nötig. Mit dem Sound freundet ihr euch automatisch an, so er denn qualitativ ist und sämtliche Frequenzen nuancenreich wiedergibt.

Den hörsensiblen Selbstbetrug nicht unterschätzen

Die Ohren lassen sich leicht betrügen, was nicht nur an den Lauschlappen selbst, stattdessen auch am Gehirn hängt. Eine Selbstverständlichkeit ist es beispielsweise für Toningenieure und Produzenten, dass aufgenommene Takes mehrfach abgehört werden, wobei zwischendurch den Ohren immer wieder Erholungspausen gegönnt werden. Mit über Stunden pausenlosem Abhören wird keine Aufnahme und kein Mix perfekter. Klar ist nur, dass Ohren unter Dauerbelastung nichts mehr vernünftig hören. Das Hirn macht dicht.

Was sich demnach verändert, ist das Hörempfinden. Die Ohren bzw. das Gehirn gleichen mit der Zeit alle anfänglich wahrgenommenen Fehler wohlwollend aus. Was beim ersten Hören schlecht klingt, klingt auch nach hundert Betriebsstunden schlecht, was selbstverständlich auch im Umkehrschluss gilt. Nur nehmen wir es nicht mehr so wahr.

Wenn die Ohren sich selbst belügen | Foto: Shutterstock von peterschreiber.media

Wenn das Unterbewusstsein Klangbilder korrigiert

Andererseits macht ihr mit dem Burn-in auch nichts verkehrt. Für viele ist es ein Ritual, wenn sie neue Lautsprecher einspielen. Auch wenn sich der Sinn bei heutigen Herstellungsbedingungen nicht erschließt. Zumindest tut es dem Lautsprecher nicht weh. Selbst wenn es rein faktisch nicht nötig ist, beeinflusst es möglicherweise euer Unterbewusstsein. Und wenn ihr daran glaubt, dass der Lautsprecher besser klingt, dann tut er das auch ohne belegbare Fakten.

Es verbleiben unbeantwortete Fragen

Bei vielen Instrumenten ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie eingespielt werden müssen, um ihren wahren Klang zu entfalten. So beispielsweise bei Western- oder Konzertgitarren, Holzblasinstrumenten und vielen mehr. Insofern leicht nachvollziehbar, als die Naturmaterialien ihre Schwingungseigenschaften erst entwickeln müssen. Und wenn eine akustische Gitarre die bei der Konstruktion entstehenden Spannungen erst ausgleichen muss, die Harze des Holzes sich entsprechend verteilen müssen, weshalb sollte diese Weisheit für Lautsprecher mit Holzkorpus nicht gleichermaßen gelten?

Nun bestehen Lautsprecher – gerade im Heimstudio – höchst selten aus massiven Hölzern. Damit hat sich auch diese Überlegung selbst eliminiert. Nicht zu vergessen, dass das Einspielen von hochwertigen Instrumenten Monate bis Jahre dauert. Die Quintessenz kann demnach nur lauten, dass Lautsprecher sich wie jedes andere Gerät und jedes Instrument im Laufe der Jahre selbstverständlich in Nuancen verändern. Allerdings auch das Hörempfinden und die Höransprüche. Der Burn-in ist Kult unter Soundenthusiasten. Und das kann er gerne auch bleiben. Lieber Burn-in als Burnout.

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Falls ihr mit der Ausstattung beim Recording noch am Anfang steht, dürfte dieser Artikel weitere Inspirationen liefern: „Alles für das Home Studio – welches Equipment ihr benötigt“.

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