Siebensaitige Gitarren – von kulturgeprägt bis exotisch und rockend

Akustische 7-saitige Gitarren und ihre elektrischen Kameraden

| Foto: Shutterstock von Steve Lovegrove

Das die herkömmliche üblicherweise mit sechs Saiten bestückt ist, nehmen wir in unseren Breitengraden mittlerweile als gegebene Selbstverständlichkeit hin. Ein Blick über den musikalischen Tellerrand zeigt, dass es Länder und Kulturkreise gibt, in denen stattdessen siebensaitige Gitarren die Normalität darstellen. Schauen wir mal ein paar tausend Kilometer in die Welt:

Check it: 7-saitige Gitarren von akustisch bis elektrisch

  • Als Konzertgitarre gebräuchlicher als vermutet
  • Bevorzugt in Russland und Lateinamerika
  • Neue Arrangements für Klassik auf der 7-Saitigen
  • Bei E-Gitarristen selten, aber nicht ungewöhnlich
  • Raus aus der wohltrainierten Komfortzone

Siebensaitige Gitarren gar nicht so ungewöhnlich

Dass die klassische Gitarre mit sechs Saiten bespannt ist, gilt hierzulande als zweifelsfreier Standard. Das Instrument ist beliebt und bekannt. Wir sehen, erleben und lernen das von Kindesbeinen an. Anders kann es doch eigentlich nicht sein – oder?

Nun ja, zunächst war das nicht immer so. So wurde die Gitarre in der Renaissance mit vier doppelchörigen Saiten, im Barock mit fünf, später dann mit sechs Saitenpaaren bespannt. Erst ab etwa Anfang des 19. Jahrhunderts kristallisierte sich die 6-saitige Bespannung heraus. Und dann gab und gibt es da noch siebensaitige Gitarren.

Seit über 150 Jahren präsent und doch kaum aufgefallen

Bei uns von der breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt und allenfalls marginal bekannt, sie diese Konzertgitarren in anderen Ländern vollkommen selbstverständlich und werden seit etwa 150 Jahren gespielt. So etwa in Russland und Brasilien. Schon merken wir, wie begrenzt der eigene Horizont sein kann. In Russland beansprucht man diesen Gitarrentyp sogar als nationale Eigenständigkeit. Genannt wird die semistrunnaya gitara – die 7-saitige Konzertgitarre – deshalb auch als „russische Gitarre“.

In Russland und Baltikum sogar sehr beliebt | Foto: Shutterstock von Idea Studio

Ideale Stimmung für russische Volksmusik und Tänze

Das allerdings hängt keinesfalls nur mit der Anzahl der Saiten zusammen, sondern mit der gebräuchlichen Stimmung. Die russische Gitarre ist in Quarten und Terzen auf einen offenen G-Dur-Akkord gestimmt. Diese akkordoffene Stimmung erlaubt es, zugleich harmonisch und melodisch zu spielen. Zudem kommt sie den russlandtypischen Volksliedern-, -Weisen und Tänzen deutlich entgegen.

Für die russische Gitarre gibt es etliche Kompositionen und diverse Virtuose haben ausschließlich auf diesen Instrumenten gespielt. In den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts waren sie dort verbreiteter und bekannter als die 6-saitigen Verwandten. Mittlerweile ist ihre Prominenz ein wenig abgeebbt; die Tradition wird dennoch weiter gepflegt.

In Brasilien hauptsächlich in Choro und Samba im Einsatz

In einem anderen Teil der Welt – nämlich in Lateinamerika – beliebt ist die brasilianische siebensaitige Gitarre. Auch dabei handelt es sich um eine akustische Gitarre, allerdings mit grundsätzlich anderer Stimmung. Die Stimmung entspricht zunächst einer herkömmlichen Konzertgitarre. Mit der 7. Saite wird dem Instrument unter der tiefen E-Saite noch ein tiefes C hinzugefügt.

Typischerweise eingesetzt wir die brasilianische 7-saitige Gitarre in der improvisationsreichen Choro-Musik, die den Gitarristen enorme Beweglichkeit abverlangt, und beim Samba mit all seiner rhythmischen Ausprägung. Ein Instrument für schwingende Hüften also. Keineswegs ist die siebensaitige Gitarre lediglich eine Akustik „mit einer Saite mehr“. Stattdessen ermöglicht die üblicherweise in C gestimmte Saite spezielle Funktionen, unterstützt bei Kontrapunkt, Kontratempo und mehr.

Das heißt, es geht bei diesen akustischen Instrumenten nicht ausschließlich darum, den Tonumfang zu erweitern. Vielmehr werden die Ausdrucksmöglichkeiten, sowohl tonal als auch perkussiv damit erweitert, was auch mit der speziellen Spieltechnik zu tun hat. Die tiefe Saite ist zugleich Teil der klangvollen Musik als auch der perkussiven Rhythmik.

Das brasilianische Instrument schlechthin für Choro und Samba | Foto: Shutterstock von Fred S. Pinheiro

Klassik mit der 7-saitigen Konzertgitarre umgesetzt

Auch in der Klassik werden siebensaitige Gitarren seit geraumer Zeit genutzt. Und wie in den anderen beschriebenen Musikgenres gibt es auch hier eine bevorzugte Stimmung. Üblicherweise wird der normal gestimmten Konzertgitarre eine weitere in B gestimmte Basssaite gegönnt. Problematik war und ist, dass es nur wenige Kompositionen für diese Bauform der Konzertgitarre gibt. Das wiederum ist der Grund dafür, dass etliche neue Arrangements für die Klassiker geschrieben wurden oder die Gitarristen sich die Perlen der Musikgeschichte selbst neu arrangiert haben.

Auch gab es über lange Strecken die pragmatische Schwierigkeit, dass es keine entsprechenden Gitarrensaiten bzw. Saitensätze am Markt vorhanden waren. Darauf, dass derart viele Klassikgitarristen den voluminösen und raumfüllenden Klang der 7-Saiter lieben, wurde von den Herstellern reagiert, sodass dieses Problem längst ausgeräumt ist.

Zumal die traditionellen und zeitgenössischen Werke der Klassik auch gerne mit noch exotischeren Gitarren interpretiert werden, die  über acht, neun, zehn  oder mehr Saiten verfügen, sind auch dafür die entsprechenden Lösungen zu finden.

Ein gutes Beispiel aus dem preisgünstigen Bereich ist die Classica Fusion 7-String von Thomann. Die Gitarre besitzt das typisch breitere Griffbrett und den Headstock mit der 4/3-Aufteilung der Stimmwirbel. Gefertigt wird die Decke aus massiver Fichte mit wunderschöner Maserung und Struktur; Boden und Zargen bestehen aus Sapele. Weitere Details findest du auf dieser Produktseite auf thomann.de.

7-Saitige mit innovativem Tonabnehmersystem für besonders authentischen Klang | Foto: von Thomann

Einen anderen Weg geht Godin mit der Multiac Nylon Encore 7 NT SG. Dabei handelt es sich um eine 7-saitige Konzertgitarre mit Tonabnehmer. Das Instrument ist mit einem innovativen Tonabnehmersystem ausgestattet. Das Interessante ist, dass die Signale von Piezotonabnehmer und Korpus zusammengemischt werden, wodurch der Klang besonders authentisch wird. Dabei zeichnet es sich durch die schlanke Bauform und den Verzicht auf ein Schallloch aus. Hier geht’s  zur Produktseite auf thomann.de.

Konzertgitarren-Feeling modern interpretiert | Foto: von Thomann

Siebensaitige E-Gitarren: Nischeninstrumente, aber nicht unnormal

Dass diverse E-Gitarristen der härteren Gangart auf 7-saitige E-Gitarren setzen, ist spätestens seit Steve Vai bekannt, dem Ibanez 1990 ein Signature-Modell auf den Leib geschneidert hatte. Es folgten viele weitere wie John Petrucci, auch die Nu-Metal-Bands wie Korn oder Limp Bizkit hatten die siebte Saite für sich entdeckt und gaben ihrem Sound die gute Portion Pfund für noch mehr Druck in den tieferen Frequenzen. Zugleich nutzen sie die tiefe Saite für die Synergie von Metal mit Rap.

Die 7-saitigen E-Gitarren sollten Exoten bleiben, eroberten sich aber als Nischeninstrumente einen immensen Bekanntheitsgrad bei den Gitarristen. Üblicherweise wurde die zusätzliche Saite auf H gestimmt und somit der Tonraum nach unten maßgeblich erweitert. Manche Saitenartisten setzten noch einen drauf – bzw. drunter – und stimmten die Saite auf A, also noch einen Ganzton tiefer.

Allemal sinnvoll für Klangverliebte und Experimentierfreudige

Außenstehende könnten leicht der Meinung sein, dass siebensaitige Gitarren eben einfach nur eine Saite mehr haben und diese Tatsache eigentlich wenig spektakulär ist. Tatsache ist jedoch, dass diese Instrumente ein breiteres Frequenzspektrum bedienen, zugleich aber eine vollkommen andere Aura und Ausdrucksvielfalt haben.

Je nachdem, wie man mit den Möglichkeiten umgeht und in welcher Musik sie eingesetzt werden, klingt die Gitarre wärmer, runder oder eben deutlich martialischer und mächtiger. Allerdings sollte man sich den Schritt zuvor gut überlegen. Es sieht einfacher aus, als es ist. Denn:

Mit sieben Saiten auf deiner E-Gitarre hast du schon mal eine mehr als die meisten anderen Gitarristen. So weit bist du schon mal vorne. Diese Saite zu besitzen, kann dich stolz machen, zumal du dich damit von der Masse abhebst. Allerdings ist die Saite nur dann sinnvoll, wenn du sie auch nutzt und in dein Spiel einbindest. Andernfalls wäre sie gefühlter Ballast mit Showfaktor. Und die Umgewöhnung ist aus mehreren Gründen etwas kompliziert.

Zunächst muss für eine zusätzliche Saite das Griffbrett breiter konzipiert sein. Irgendwo muss sie schließlich hin. Das heißt, der Hals wird fetter, was höhere Anforderungen für die Greifhand und Finger bedeutet. Hauptsächlich die Finger der Greifhand müssen weitere Wege zurücklegen und sich insofern auch weiter spreizen. Alles kein Problem, möchte man meinen. Aber du bewegst dich damit aus einer eintrainierten Komfortzone heraus.

Umgewöhnung kognitiv und intuitiv nicht ganz einfach

Bassisten, die von einem 4-Saiter auf einen 5-Saiter umsteigen kennen das: Die Umstellung ist zwar logisch kein Problem, intuitiv jedoch eine Herausforderung. Das Gleiche gilt für den Wechsel von sechs- zu siebensaitigen Gitarren. Du bist es gewohnt, auf 6-Saiten zu spielen, hast die Lage der Saiten verinnerlicht. Um eine Saite mit den Fingern anzuvisieren, brauchst du keinen Wegweiser mehr.

Wegweiser war bislang nicht mehr nötig | Grafik: Vectors Bang und Sunrisedust

Wenn du einen Song spielst, ein Solo, ein Riff, was auch immer, brauchen deine Finger nicht mehr nachzudenken, ob sie sich auf der richtigen Saite befinden. Dein musikalisches Gedächtnis und deine Feinmotorik hast du in vielen Stunden exakt auf die 6-saitigen Maße trainiert. Du bist eins mit deinem Instrument. Und von einer Sekunde auf die andere ist plötzlich alles anders.

Auf einmal musst du wieder mit den Fingern denken. Bislang warst du felsenfest davon überzeugt, dass auf der tiefsten Saite im 5. Bund das A liegt. Keine Mikrosekunde verging, bis du den Ton anvisiert hattest. Diese Selbstverständlichkeit ist jetzt verstaubter Schnee vergangener Tage. Das A ist weg. Mist, wo ist es geblieben? Mit einem kleinen Lächeln wirst du es wiederfinden. Aber schon ist Zeit vergangen. Zeit, über die man im schnellen Song leicht mal stolpern kann.

Plötzlich musst du wieder mit den Fingern denken | Foto: Fred S. Pinheiro

Die siebte Saite ist nicht einfach eine Treppenstufe mehr. Das ganze Instrument fühlt sich einfach anders an. Den Umgewöhnungsprozess solltest du einkalkulieren, damit siebensaitige Gitarren ihre Besonderheiten auch wirklich voll entfalten können.

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Auf die Spurensuche nach dem Grund für das üblicherweise halbe Dutzend Saiten kannst du dich auch mit diesem Artikel begeben: „Warum hat eine Gitarre 6 Saiten?“.

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