Sobald Einsteiger die ersten offenen Akkorde gelernt haben, widmen sie sich oftmals bereits der nächsten Schwierigkeitsstufe, den Barré-Griffen. Diese Akkorde, bei denen ein Finger über mehrere Saiten gelegt wird. Anfangs gefürchtet, weil sie angeblich nach viel Kraft verlangen und vermeintlich schmerzhaft sind. Ist das wahr oder können wir Entwarnung geben?
Check it: Barré-Griffe schmerzhaft und anstrengend?
- Mit dem Barré durch sämtliche Lagen
- Lernerfolge mit Barré vervielfachen
- Kraft ist der falsche Ratgeber für Musiker
- Barré-Finger richtig positionieren und unterstützen
- Bedeutung des hilfreichen Unterarms
Sind Barré-Griffe schmerzhaft? Eine Frage der Herangehensweise
Für das fortgeschrittene Spiel auf der Gitarre, ob Konzert-, Western- oder E-Gitarre sind Barré-Akkorde unumgänglich. Mit ausschließlich offenen Grundakkorden kannst du schon ziemlich weit kommen, bleibst aber faktisch eingeschränkt. Dafür, das gesamte Griffbrett über sämtliche Lagen zu erobern, wirst du auf lange Sicht um Barré-Griffe nicht herumkommen. Aber was ist das überhaupt?
Nun, wenn ein Finger gleich mehrere Saiten aufs Griffbrett drückt, sprechen wir von einem Barré. Üblicherweise kommt dabei der Zeigefinger zum Einsatz, der in einem Bund über allen sechs Saiten platziert wird. Und alle Saiten sollen auch klingen. Klingt anspruchsvoll? Nun ja, ist es auch. Aber dass Barré-Griffe schmerzhaft sind und viel Kraft aufgewendet werden muss, darf auch als Fehlverständnis begriffen werden.
Der Sinn des Barré-Fingers ist, sich wie mit einem flexiblen Kapodaster auch in höheren Lagen auf dem Griffbrett bewegen zu müssen. Behaupten kann man sogar, dass sich mit nur wenigen der „normalen“ Griffe nahezu sämtliche Akkorde über das gesamte Griffbrett hinweg in sämtliche Tonarten verschieben – transponieren – lassen. Versuchen wir das ein wenig plakativer zu veranschaulichen:
Solange die Saiten der Gitarre nicht gegriffen werden, sprechen wir von offenen oder freischwingenden Saiten. Gehalten werden die Saiten vom Sattel, über dessen Kerben sie laufen. Dieser Sattel – bei manchen Instrumenten in Verbindung mit dem sogenannten Nullbund – ergibt sich daraus die Tonhöhe der Saiten. Greifst du nun einen der einfachen Akkorde, beispielsweise E-Dur, sind drei der Saiten gegriffen, die anderen drei schwingen offen. So weit, so gut.
Weshalb die Lernerfolge sich mit Barré vervielfachen
Nun könntest du aufspringen und dich darüber freuen, diesen Akkord gelernt zu haben. Nimmst du nun jedoch statt des Sattels den Zeigefinger, setzt ihn komplett auf alle Saiten und verschiebst ihn in andere Lagen, während der restliche Griff der anderen Finger in den Abständen beibehalten wird, könntest du dich noch ganz anders freuen. Tatsächlich hast du dir nämlich nicht nur einen Griff, stattdessen 11 Akkorde draufgeschafft. Der Grund: Über sämtliche Bünde hinweg bleibt das Griffbild identisch, aber in jedem Bund bedeutet dieser Griff einen anderen Akkord. Der Barré ist dein mobiler Kapodaster.
Kraft ist der falsche Ratgeber von filigranen Gitarristen
Allgemein herrscht die Meinung, dass der Barré-Griff schmerzhaft, weil anstrengend ist. Auf den ersten Blick leicht nachvollziehbar. Immerhin drückt nicht nur der Zeigefinger auf alle Saiten, stattdessen auch alle Saiten im Umkehrschluss auf den Finger. Einer gegen sechs. Ein ungleiches Kräfteverhältnis. Nun sind viele Musiker davon überzeugt, dafür müsste der Finger eine gehörige Portion Kraft aufwenden.
Also wollen sie die Muskeln trainieren, teils mit speziellen Fingertrainertrainern, isometrischen Übungen und Gerätschaften wie in der Muckibude. Vergessen wird dabei leider, dass der handelsübliche Musiker kein Gewichtheber ist. Die Sensibilität der Finger und Gelenke, die Dehnbarkeit der Sehnen, die Feinmotorik und die Koordinationsfähigkeiten sind weitaus bedeutender als die Kraft. Klartext: Zu viel Krafteinsatz ist für das flüssige Spiel auf der Gitarre vollkommen ungeeignet. Tatsächlich sorgt erst überzogene Kraft dafür, dass der Barré-Griff schmerzhaft ist. Und die kann sogar gesundheitsschädigend sein.
Aus der kraftfreien Perspektive betrachtet
Erst aus der umgekehrten Perspektive wird ein passender Schuh aus der Fragestellung. Eben noch betrachtet haben wir die Kraft des Barré-Fingers als Basis für das Akkordspiel auf dem kompletten Griffbrett. Der macht das – zu den Gründen später – noch nicht mit. Somit würde die ernüchternde Erkenntnis lauten: Funktioniert nicht, dann hänge ich eben die Gitarre an die Wand. Die Frage aber ist, weshalb das nicht funktioniert. Denn:
Die andere, sicherlich schmerzfreiere These stellt die Flexibilität, Beweglichkeit, Dehnbarkeit und Griffsicherheit der Greifhand in den Mittelpunkt. Haben die Hände der musikalischen Einsteiger sich erstmal mit den ungewöhnlichen Bewegungen angefreundet, sind sie schrittweise verkrampfungsfrei beweglicher geworden, ist es weitaus einfacher, Barré-Griffe unangestrengt einzuüben und somit Schmerzen oder Verkrampfungen gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Einfach den Kopf einschalten und sich nicht verwirren lassen
Die mutmachende Nachricht: Es ist wirklich nicht nötig, dich mit dem Barré-Finger wie mit einer Schraubzwinge brachial am Gitarrenhals festzuklammern. Ganz im Gegenteil. Schalten wir einfach die ganz normale Logik ein und schauen, wie wir den Zeigefinger unterstützen können, um das Vorurteil, dass Barré-Griffe schmerzen, auszutricksen oder völlig zu entschärfen.
Vermutlich wirst du dich anfangs darüber ärgern, dass nicht alle Saiten klingen. Keine Angst, das ist normal. Die normale Reaktion darauf wird sein, dass du noch mehr Kraft aufwendest. Manche Saiten klingen trotzdem nicht. Also setzt du den Finger noch kräftiger auf. Das unvermeidliche Resultat ist, dass die so durchgeführten Barré-Griffe schmerzhaft sind. Definitiv und ganz konkret.
An zu wenig Kraft kann’s also nicht liegen
Aber da sich am Klang der Töne auch mit mehr Kraftaufwand nahezu nichts verbessert hat, solltest du spätestens jetzt verstehen, dass der Druck des Fingers allenfalls marginal mit dem Ergebnis zu tun hat, stattdessen dafür verantwortlich ist, dass Barré-Griffe schmerzhaft sind. Außerdem ist der Druck über den Zeigefinger über sämtliche Saiten hinweg nur in den seltensten Fällen nötig.
Spielst du beispielsweise einen Barré im 5. Bund und baust dabei mit den anderen Fingern dazu den A-Moll-Akkord, wird daraus D-Moll. Drei Saiten sind vom Mittel-, Ring- und kleinen Finger bereits gegriffen. Den Barré-Finger benötigst du nur noch auf der hohen E-Saite und der tiefen A-Saite. Die tiefe E-Saite ist irrelevant. Das will sagen: Den Barré-Finger benötigst du lediglich auf zwei Saiten. Keinesfalls wird dieser der Barré-Griffe schmerzhaft sein.
Barré-Finger leicht gedreht aufsetzen
Häufiges Problem bei Barré-Neulingen ist, dass sie den Finger falsch aufsetzen, nämlich mit der schwulstigen Innenseite des Fingers, die direkt zur Handfläche zeigt. Verantwortlich dafür ist diese Haltung, dass manche Saiten auch bei größtmöglichem Druck nur ein lockeres Knarzen von sich geben. Zwischen den einzelnen Fingergliedern befinden sich Rillen. Die machen nichts Aufregenderes, als die Saite lediglich abzudämpfen. Die Wulste der Fingerglieder haben einen vergleichbaren Effekt.
Deutlich besser werden die Töne, wenn der Zeigefinger leicht gedreht mit seiner mehr knöchernen Außenseite aufgesetzt wird. Die Rillen sind an dieser Stelle weniger ausgebildet. Die knöchernen Teile der Finger treffen direkter auf die Saiten, wodurch die Töne leichter klingen, ohne dass die Barré-Griffe schmerzhaft werden.
Unterstützen durch den richtig positionierten Daumen
Noch sind wir nicht am Ende; vermutlich wird der Barré-Finger noch nicht lange durchhalten können, was entsprechend zulasten der vernünftig klingenden Töne geht. Er sehnt sich nach etwas Unterstützung. Die soll er bekommen, und zwar vom Daumen. Üblicherweise ist der Daumen auf der Rückseite des Halses mit dem sogenannten Klammergriff die Unterstützung für sämtliche Finger. Platziert wird er beim normalen Solo- und Melodiespiel etwa auf Höhe des Mittelfingers. Bei Barré-Griffen änderst du die Lage des Daumens und rückst damit etwas weiter zum Zeigefinger. Nun bilden die beiden Kameraden die kräfteschonende Klammer.
Den automatisch hilfreichen Unterarm nicht unterschätzen
Und zu guter Letzt komplettierst du deinen kräfteschonenden Kräfteaufbau durch deinen Unterarm. Den bewegst du ein wenig nach außen, bis er sich etwa in einer Achse mit der Greifhand befindet. Der Effekt wird sein, dass er eine zusätzliche Stütze für den Barré-Finger darstellt, ihn auf ganz natürliche Weise nach unten – eben nicht seitlich – zieht und aufgrund des geraden Wegs der Schwerkraft für mehr Stabilität sorgt. Dass du dabei durch das Gewicht zusätzliche Kraft erzeugst, wirst du nicht als aktiven Vorgang wahrnehmen.
Schon erkennst du, dass du ausreichend Kraft besitzt, ohne die musikalische Muckibude betreten zu müssen. Du musstest lediglich erfahren, woher du sie bekommst. Also immer entspannt bleiben, ausgiebig und verkrampfungsfrei üben. Und immer dann, wenn du das Gefühl hast zu verkrampfen oder unnötige Kraft aufzuwenden, legst du eine Pause ein und besinnst dich auf den „mechanischen“ Zusammenhang. Auf diese Weise wirst du diese so nützlichen und hilfreichen Griffe lernen, ohne dass Barré-Griffe schmerzhaft sind.
+++
Weshalb dein Instrument üblicherweise mit einem halben Dutzend Saiten bestückt ist, erfährst du hier: „Warum hat eine Gitarre 6 Saiten?“.
Wunderbar. Merci. ,,Moon River“ sollte nun besser klingen.