Wir erinnern uns an Statements aus dem Juli 2020, in denen die Rede davon war, „ (…) dass es scheint, als sei die Phase des Eingesperrt-Seins in Europa überstanden“. Erfüllt von Hoffnung machte man sich Gedanken darüber, wie die künftige Realität aussehen wird und mit welchen Konzepten Konzerte wieder durchführbar sein würden. Tatsächlich befinden wir uns in derselben Situation, nur eben viele Monate, Erkrankte und finanzielle Desaster später. Wie und wann können Konzerte wieder stattfinden?
Check it: Konzerte mit und nach Corona
- Definitiv anders, aber wann und wie?
- Streaming-Konzerte professionell angepackt
- Hygienegestützte Livekonzerte in Innenräumen
- Outdoor-Events mit Corona-Crowd-Management
- Drive-In Konzerte wie im Autokino
- Konzerte mit Schnelltests – problematische Logistik
- Reizthema Konzerte mit Impfausweis
Es wird definitiv anders, aber wann und wie?
Die nächste Welle der Pandemie rollt über uns hinweg. Die Infektionszahlen sind höher als zuvor, obwohl die Viren angesichts der bereits Geimpften in der Bevölkerung weniger Angriffsfläche haben. Veranstaltungen finden weiterhin nicht statt. Theater, Konzerthäuser und sonstige Locations sind geschlossen. Die Kultur- und Eventbranche liegt am Boden, wurde aufgrund ihrer Individualität über lange Zeit auch von der Politik vergessen. Allesamt sehnen wir danach, dass Gastronomie und Event-Locations – ob drinnen oder draußen wieder mit Leben und Erlebnissen gefüllt werden. Aber wie wird das aussehen?
Gefangen im Chaos der bundesdeutschen Selbstüberschätzung
Bekanntlich hakt es an allen Ecken und Enden. Proklamiert wird, dass die regelmäßigen Selbsttests die überbrückenden Game-Changer sein sollen. Dann öffnet man die Schulen mit verpflichtendem Präsenzunterricht, obwohl keine Tests vorhanden sind. Die große Impfkampagne soll beginne, doch es sind viel zu wenig Impfstoffe vorhanden. Dem Wettlauf mit der Zeit begegnen wir hierzulande mit langatmiger Bürokratie und wochenlangen Entscheidungswegen.
Wird weiterhin derart langsam geimpft, sind die Impfstoffe gegen die entstehenden Mutanten irgendwann nicht mehr wirksam. Angesichts der großen Konfusion wagt man kaum noch Prognosen, ob und wann die Pandemie überstanden sein wird. Veranstaltungstechniker sind in ihrem Berufsalltag gewohnt, schnell zu entscheiden und diese Entscheidung sofort umzusetzen. Der Zeit hinterherrennen funktioniert nun mal nicht. Aktuell schüttelt die Eventbranche kollektiv mit dem Kopf.
Trotz aller Unsäglichkeiten nach vorne blicken
Die Künstler sind hinsichtlich der publikumsfernen Lösungen gespalten. Bereits im vergangenen Jahr haben viele erklärt, ohne reales Publikum nicht auftreten und lieber ihren Beruf an den Nagel hängen zu wollen. Es ist und bleibt nun mal ein immenser Unterschied, ob man das direkte Feedback von den Gästen aufsaugen kann oder nicht. Andere sehen das pragmatischer. Lieber unter ungewöhnlichen Bedingungen spielen als gar nicht.
Mittlerweile gibt es unterschiedliche Ansätze, mit denen Auftritte vor Publikum in Zukunft wieder möglich sein könnten. Tatsache bleibt: Seit dem letzten Jahr haben wir viel gelernt, aber wenig umgesetzt. Dringend wichtig ist es für uns alle, trotz aller Pannen, Rückschläge und Unsäglichkeiten den Blick nach vorne zu richten.
Streaming
Als Künstler bereits im letzten Jahr nicht mehr live vor Publikum auftreten konnten, nahm das Streaming von Wohnzimmerkonzerten richtig an Fahrt auf. Es war der verzweifelte Versuch von Musikern, sich überhaupt irgendwie ihren Fans präsentieren zu können. Home-Recording-Produktionen wurden weitaus häufiger durchgeführt. Es war und ist ein Kompromiss. Die Streaming-Konzert aus dem Wohnzimmer heraus wirkten zwar authentisch, ehrlich und auch intimer. Mit einem großen Konzert waren sie aber kaum vergleichbar.
Vielfach lag das auch an der typischen Problematik der Home-made-Videos, der oftmals mangelhaften Tonqualität. Bereits vor Monaten sind Veranstalter deshalb auf die Idee gekommen, Konzert-Streams aus professionell ausgestatteten Locations zu streamen. Vorreiter war hier eine Initiative von Konzertveranstaltern aus Bremen, die mittlerweile etliche Events von Lesungen bis zu Konzerten durchgeführt haben.
Allen ist bewusst, dass auch diese Online-Gigs mit dem Feeling eines normalen Konzertes nicht vergleichbar sind. Auch werden sich solche Konzerte angesichts der wenigen verkauften Online-Tickets sich kaum rechnen. Aber es ist die Möglichkeit, eine Brücke zu entspannteren Zeiten zu bauen. Ein Ansatz, der als ein Puzzleteil des großen Ganzen zielführend sein könnte. Nur leider beißt unser angeblich fortschrittliches Land sich durch die mangelhafte Internetversorgung selbst in den Allerwertesten.
Bestuhlte Konzerte mit Abstand
Der Vorschlag, bestuhlte Konzerte mit entsprechendem Abstand in den Sitzreihen durchzuführen, ist längst ein alter Hut. Dass da allenfalls bei konzertanten Aufführungen die zum Genre passenden Stimmung aufkommen kann, ist leicht nachvollziehbar. Auch könnte das für Kleinkunstevents als Möglichkeit in Betracht gezogen werden.
Eine wirkliche Lösung für die Branche kann dieses Format nicht sein. Die Zahl der Gäste wäre schlichtweg zu gering, als dass sich solche Konzerte für Veranstalter, Location-Betreiber und Künstler rechnen könnten. Die kämpfen ohnehin ums nackte Überleben. Auch diese Auftritte muss man als ein Mosaikstein verstehen, um Kultur und Musik im öffentlichen Raum wieder möglich zu machen.
Livekonzerte mit Abstandsregelungen, Desinfektion und Belüftungskonzepten
Gleichfalls ein guter Bekannter aus dem Sommer 2020 sind Indoor-Veranstaltungen mit deutlich reduzierter Gästezahl, bei denen konsequent auf die Einhaltung von Hygienekonzepten geachtet wird. Dazu gehören die Einhaltung der Abstände der Gäste vom Einlass bis zum Auslass, die Händedesinfektion vor der Einlasskontrolle als auch unmittelbar vor den sanitären Anlagen sowie die permanente Flächendesinfektion und mehr.
Zudem gibt es hochleistungsfähige Entlüftungssysteme, die mit entsprechenden Filtern die virentragenden Partikel aus der Raumluft entfernen. Solche umfassenden Hygienekonzepte können funktionieren. Verbleibt jedoch die Frage, ob solche Events sich für die Veranstalter lohnen. Der Aufwand ist immens, der Ertrag aufgrund der massiv reduzierten Gästezahl gering. Für die meisten zu gering.
Open-Air-Konzerte als gangbares Mittel?
Die allergrößte Problematik auch im Freien ist das Einhalten der Sicherheitsabstände. Bei Großevents gibt es zahlreiche neuralgische Stellen, bei denen zu viele Menschen zu nah aufeinandertreffen. Dabei denkt man im Zusammenhang mit Konzerten zunächst an den Innenraum, bei dem sich die Abstände durch entsprechende Absperrungen wie Wellenbrecher, blickoffene Trennwände, Sitzplätze und begrenzen ließen. Ob da Stimmung aufkäme oder man sich eher wie im Wartezimmer der Notfallchirurgie vorkäme, sei einmal dahingestellt.
Weitaus problematischer sind aber ganz andere Stellen. Und die haben mit dem sogenannten Crowd-Management zu tun. Es geht beispielsweise darum, wir eine Horden-Bildung bei der Anreise vermieden werden kann. Wie kann die Eintrittskontrolle so entzerrt werden, dass die Menschen eben nicht zu nah beieinanderstehen, sich aber gleichzeitig bei Tausenden von Gästen nicht kilometerlange Warteschlangens bilden. Wie sieht es zum Beispiel mit dem Catering oder den sanitären Anlagen aus? Es wäre ein Heidenaufwand. Wenn aber wirklich alle vernünftig mitmachen, die mittelfristig vermutlich beste Lösung.
Straßenmusik als pragmatische Lösung, Menschen zu erreichen
In Innenräumen fliegen uns die virentragenden Aerosole um die Ohren. Die Ansteckungsgefahr ist weitaus höher als im Freien. Da läge es doch nahe, dass Bands sich als Straßenmusiker präsentieren. Die Aerosole verbleiben nicht im Raum, die Sicherheitsabstände ließen sich locker einhalten. Nun ja, nicht ganz. Das Problem ist, dass ihr bereits richtig gut seid. Wenn ihr loslegt, bleiben Menschen stehen, um euch zuzuhören und eure Musik zu bewundern. Exakt das war das Ziel. Aber genau dies darf nicht geschehen. Tatsächlich sorgt ihr mit eurem Straßenmusikerauftritt dafür, dass sich zu viele Menschen auf einem Haufen versammeln.
Ganz nebenbei ist es leider nicht so einfach, spontane Open-Air-Auftritte zu absolvieren. Spontan geht in diesen Zeiten schon mal gar nichts. Die Auftritte im öffentlichen Raum müssen beim Ordnungsamt angemeldet werden, wobei in unterschiedlichen Städten ebenso unterschiedliche einzuhaltende Vorschriften existieren. Das betrifft beispielsweise die Plätze, an denen gespielt werden darf, auch die Dauer. Und die ist deutlich begrenzt. Für die ferne Zukunft könnte die Straßenmusik eine machbare Lösung sein, wenigstens ein bisschen Publikumsatmosphäre zu schnuppern. Derzeit eher nicht.
Autokino- und Drive-In-Konzerte: Scheibenwischerfaktor inklusive
Bereits bei den ersten Öffnungen im Jahr 2020 gab es ebenso kuriose wie visionäre Bilder. Veranstaltet wurden sogenannte Drive-In-Konzerte. Die Musiker standen auf der Bühne, die Gästen saßen wie im Autokino in ihren Fahrzeugen und somit in ihrer eigenen Kabine. Als Musiker muss man sich ganz schön bescheuert vorkommen, vor einem Haufen von Autos mit kaum sichtbarem Publikum zu spielen. Aber es wäre ein machbarer Kompromiss.
Die Gäste sind in ihren Autos vor der Ansteckung durch Dritte geschützt. Das Risiko und der Aufwand für die Veranstalter der Drive-In-Konzerte halten sich in überschaubaren Grenzen. Zu den entscheidenden Vorteilen zählt, dass diese Konzerte gewissermaßen an der frischen Luft stattfinden. Wenigstens für die Musiker. Die Gäste sind in ihren Fahrzeugen verbarrikadiert, wodurch man auch nicht unbedingt von Open Air sprechen kann. Kurios wird es spätestens, sobald es anfängt zu regnen. Spiel mal deine Songs im Takt hunderter quietschender Scheibenwischer. Eine Herausforderung, die man durchaus mit Humor angehen sollte.
Möglich, aber logistisch kompliziert: Konzerte mit Schnelltests
Zu den von vielen Veranstaltern vorgeschlagenen Lösungen gehört die Durchführung von Konzerten mit zuvor durchgeführten Schnelltests. Entsprechende Konzepte wurden schon länger vorgelegt. Ein Szenario, das sich für unterschiedlichste Veranstaltungen durchführen ließe. Nur eine der Schwierigkeiten dabei ist allerdings derzeit, dass solche Tests von geschultem Personal wie Apothekern oder in den Testzentren gar nicht in ausreichender Anzahl durchgeführt werden könnten. Die Ergebnisse der zur Verfügung stehenden Selbsttests wiederum sind nicht zuverlässig genug. Würden Tests direkt beim Einlass durchgeführt, brächte dies herzlich wenig. Die notwendige Logistik wäre kaum realistisch durchführbar.
Ein absolutes Reizthema: Konzerte mit Impfausweis
Diskutiert wird von Politikern, Ethikkommissionen als auch in der Bevölkerung, ob bereits Geimpfte Sonderrechte erhalten sollten. Ein brandheißes Thema, das zahlreiche Kritiker auf die Barrikaden bringt. Die Problematik beginnt bereits bei der Bezeichnung „Sonderrechte“. Letztlich sind hier vernünftigerweise Rechte eingeschränkt. Diese Einschränkungen müssen irgendwann wieder aufgehoben werden. In diesem Sinne können wir also nicht von Sonderrechten, höchstenfalls von Ausnahmeregelungen sprechen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass zunächst die älteren Menschen geimpft werden, weitaus mehr der üblichen Konzertgänger und Feiernden jedoch zur jüngeren Generation gehören. Ich stelle mir gerade die Situation vor, wenn im Konzert der Teenie-K-Pop Band BTS nur lauter 80-Jährige sitzen. Bis die jüngeren Menschen durchgeimpft sind, wird es noch lange dauern. Da werden noch viele Monde den Bach hinunterfließen, bevor über Konzerte mit dem Konzept von Impfnachweisen überhaupt denkbar sein könnten. Viele Kritiker bezeichnen den Ansatz mit verpflichtender Vorlage eines Impfausweises allerdings als Zwangsimpfung.
+++
Bremer Veranstalter haben sich für Streaming-Events zusammengeschlossen. Hier der Artikel: „Club 100: Eventszene auf Ideen-Suche in Lockdown-Zeiten“.