Mensur der E-Gitarre – zwischen Funktionalität und Klangrealität

Eine Instrumentenbauer-Wissenschaft für sich

| Foto: Shutterstock von Ksanawo, Korrektur musikmachen.de

Komisches Wort mit simpler Bedeutung: die Mensur der E-Gitarre. Bezeichnet wird damit die Länge  der freischwebenden, nicht gegriffenen Saite. Noch ein wenig exakter ausgedrückt bezieht sich das also auf die Strecke zwischen dem Sattel auf der Kopfseite und der entgegengesetzt liegenden Brücke auf dem Korpus. Starten wir gemeinsam einen Erklärungsversuch.

Mensur der E-Gitarre – Instrumentenbautheorie und Praxis

Oberflächlich betrachtet ist die Mensur die Länge einer nicht gegriffenen Saite. Tolle Wurst, weshalb nennt man das dann nicht gleich Saitenlänge und verzichtet auf ein möchtegernwichtiges Fremdwort? Tatsächlich ist die Mensur ein seit Jahrhunderten gebräuchlicher und somit bekannter Begriff auch und insbesondere im Instrumentenbau. Wohl niemand käme auf die Idee, eine feststehende Bezeichnung auszutauschen oder zu simplifizieren, nur weil sie manchen Noch-Laien erst mal näherbringen muss. So ist es eben, wenn man sich Informationen über eine neue Thematik aneignen möchte.

Und so ganz stimmt Saitenlänge ja auch nicht, denn dazu gehören ja eigentlich auch die Enden, die über Brücke und Steg hinausgehen. Und bevor wir jedes Mal wie in der Einleitung „Länge der freischwebenden, nicht gegriffenen Saite“ schreiben oder sagen müssen, nehmen wir lieber „Mensur“, denn das ist auch noch viel, viel kürzer – hurra!

Mensur der E-Gitarre – faktische Unterschiede fernab von grashörendem Mythos

Immer wieder wird mit unterschiedlichen Mensuren experimentiert. Kein Wunder, immerhin hat die Mensur der E-Gitarre enormen Einfluss auf den Klang. Mögen manche auch behaupten, dass sei das inflationäre Hören wie das Gras wächst. Praktiker, die Instrumente mit unterschiedlicher Mensur vergleichen, wissen, dass die Behauptung keinesfalls aus dem Reich der Mythen stammt.

Die drei Hauptvarianten in bewusster Reihenfolge: Lang, kurz, mittel

Eingebürgert hat sich, dass bei der Mensur der E-Gitarre hauptsächlich drei Varianten betrachtet werden: die lange, mittlere und die kurze Mensur. Und dabei dürfen auch durchaus Markennamen genannt werden, zumal die auch für artverwandte Gitarren aus geschichtlichem Hintergrund die Referenz darstellen.

Lange Mensur – die drahtig Obertonreiche von Pionier Fender

Die lange Mensur beträgt 25,5 Zoll bzw. 648 mm. Vorbild und Vorreiter dafür ist die Firma Fender. Traditionell hat die Marke auf diese Mensur der E-Gitarre gesetzt. Ausgestattet sind damit sowohl die Strats als auch die Telecaster, obschon der Body der Tele und somit die ganze Gitarre kleiner ist. Merke: Die Mensur muss also nicht zwangsläufig über die Größe der Gitarre bestimmen.

Fender 50 Strat Road Worn Surf Green mit langer Mensur | Foto: von Fender (Herstellerbild)

Klangbild der langen Mensur der E-Gitarre

Wie aber wirkt sich die längere Mensur aus? Die Frage ist relativ einfach beantwortet; selbst wenn wir die restlichen ebenso klangbestimmenden Bauteile der Gitarre hier bewusst außeracht lassen. Instrumente langer Mensur klingen knackiger und drahtiger als ihre Artverwandten. Grund dafür ist, dass die Saiten mehr Spannung haben. Erklärt wird damit zugleich, weshalb die beliebtesten Live-Gitarren Strat-Style-Gitarren sind, die über die längere Mensur der E-Gitarre verfügen.

Schnelles Attack der langen Mensur

Tatsache ist, dass sich die lange Mensur der E-Gitarre positiv auf das Attack – die Ansprache der Saiten auswirkt. Hinzu kommt, dass das Obertonverhalten bei längerer Mensur ausgeprägter ist. Das muss weder besser noch schlechter sein. Einfach nur anders und somit eine Frage der gewünschten Soundästhetik. E-Gitarren mit langer Mensur klingen vor diesem Hintergrund brillanter.

Bedenken sollte man bei der Frage von obertonreicher Brillanz die bekannte Weisheit, dass man vorhandene Frequenzen – falls gewünscht – absenken, nicht Vorhandenes aber nicht zumischen kann. Das legt die Behauptung nahe, dass die klangliche Ausbeute von E-Gitarren mit langer Mensur variabler ist.

Spielgefühl auf langer Mensur

Ebenso wirkt sich die die Mensur der E-Gitarre auf das Spielgefühl aus. So können Saiten mit langer Mensur etwas schwerer gezogen werden, in der musikalischen Fachsprache nennt sich das dann „Bending“. Nicht zu vergessen, die oftmals in härteren Stilrichtungen gerne genutzte Möglichkeit, die Gitarre insgesamt tiefer zu stimmen. Auch das lässt sich mit langer Mensur leichter umsetzen.

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Selbstverständlich gibt es Ausnahmen

Um keine Missverständnisse aufkeimen zu lassen: Am häufigsten in Verbindung gebracht werden die Fender Modelle – und ihre zahlreichen Kopien – mit der langen Mensur, etwa die Stratocaster oder Telecaster. Grundsätzlich ist das korrekt, betrifft jedoch keinesfalls alle Modelle der Marke. So werden beispielsweise die Duo-Sonic, die Alternate Reality Powercaster und weitere Gitarren mit kürzerer Mensur angeboten.

Und viele überzeugte und überzeugende Trittbrettfahrer

Dass z.B. die Gitarren von Jackson über dieselbe Mensur verfügen, erklärt sich schnell: Jackson ist zwar erst seit 2002 eine Tochterfirma von Fender. Daher kann es also nicht rühren. Vielmehr wurde die 1978 gegründete Marke mit der Produktion von Superstrats berühmt und die hatten eben auch seit Anbeginn der Herstellung die spezielle Fender-Mensur.

Endlos viele Abwandlungen, die im Laufe der Jahrzehnte von anderen Marken auf den Markt gekommen sind, die sich teils nur in wenigen Nuancen unterscheiden, setzen auch auf die lange Mensur. Es ist eben für diese Form der Gitarre das Vorbild für die Mensur der E-Gitarre.

Ach ja, und wo wir gerade beim Thema sind: Auch die kompakten Gitarren von Music Man haben die lange Mensur der E-Gitarre. Kein Wunder, Music Man war das neue Baby von Leo Fender, als er seine erste eigene Firma verlassen hatte. Es gibt eben bewährte Prinzipien, an die man sich in alle Ewigkeiten hält.

Kurze Mensur – druckvoll ausgeglichen, Mitten- und Bass-betont

Ganz bewusst widmen wir uns im nächsten Stepp nicht der  mittleren, sondern der kurzen Mensur der E-Gitarre. Vor geschichtlichem Hintergrund wurde die nahezu zeitgleich entwickelt, und zwar auch das von einer honorigen, renommierten Firma: von Gibson. Die kurze Mensur hat die Maße von 24,75 Zoll bzw. 628 mm. Resultat ist, dass die Instrumente wie die Les Paul weniger obertonreich und drahtig, dafür sehr druckvoll und ausgeglichen klingen.

Gibson Les Paul Studio SB mit kurzer Mensur | Foto: von Thomann

Die Frage der Durchsetzungsfähigkeit im Bandgefüge

Manche behaupten sogar, dass Paulas & Co. sich aufgrund der kurzen Mensur der E-Gitarre im Bandgefüge weniger gut gegen die Stat-Kollegen durchsetzen können. Sicherlich eine etwas abenteuerliche Behauptung, wenngleich theoretisch schlüssig. Aber eben nur in der Theorie. In der Realität ist die Mensur der E-Gitarre schließlich nicht der einzige Aspekt, der über die Durchsetzungsfähigkeit entscheidet. Da haben Verstärker, Effektgeräte und letztlich deine Finger auch noch ein gehöriges Wort mitzureden.

Kurze Mensur: Straight und schnörkellos

Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, lässt sich aber immer wieder auf den Bühnen beobachten, dass die Paula-. Flying-V-, oder SG-Freaks ganz genau wissen, was sie wollen. Die überzeugte Festlegung ist gewolltes Programm: direkt, bodenständig und unbedingt ehrlich.

Wie für Fender die lange Mensur, so ist für Gibson die kurze Mensur der E-Gitarre typisch. Allerdings wäre es auch bei dieser Marke nicht korrekt, sie darauf zu beschränken. So hat beispielsweise die Explorer eine Mensur von lediglich 625 mm, also noch etwas kürzer als kurz.

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Gibson Les Paul Studio SB
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Was schwierig ist oder nicht entscheidet sich auf dem Platz

Aufgrund der kürzeren Mensur ist es leichter, die Saiten zu ziehen. Umso einleuchtender, wenn man beispielsweise Gary Moore dabei zuschaut, welchen Bendings er auf seiner Paula abliefert. Es gibt zahlreiche weitere Guitar-Heroes wie Slash, Joe Perry und mehr, die Saiten ziehen und benden, bis der Arzt kommt.

Mittlere Mensur – das Beste beider Welten

Von einer mittleren Mensur sprechen wir, wenn sich die Werte zwischen den beiden Klassikern von Fender und Gibson bewegen. So etwa bei Paul Reed Smith. Die E-Gitarren haben eine Mensur von 25 Zoll bzw. 635 mm. Damit steht PRS nicht allein da. Es gibt  weitere Hersteller, die sich für diese Lösung entschieden haben. Aber PRS ist der Bekannteste und letztlich der Innovator dieser Variante der Mensur der E-Gitarre.

Diese Mensur kommt deshalb erst zum Schluss, zumal sie die neueste der drei wichtigsten Varianten ist. Immerhin hat der Gitarrist Paul Reed Smith seine Firma erst 1985 gegründet. Da hatten die eigentlichen Pioniere der E-Gitarre schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel.

PRS CE 24 Grey Black mit mittlerer Mensur | Foto: von Thomann

Bei der mittleren Mensur handelt es sich um eine kompromissbereite Symbiose beider Philosophien. E-Gitarren mit mittlerer Mensur unterstützen eine gute Ansprache mit höhenbetontem Attack, ähnlich der Strat-Modelle, die Saiten können aber leichter als etwa bei einer Paula gezogen werden. Der Klang bleibt weich und rund. Berühmt gemacht wurden die Gitarren von PRS durch Carlos Santana. Der Sound sagt alles. Exakt so kann eine Gitarre mit mittlerer Mensur klingen.

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Keine Angst vor zu viel Einheitsbrei; es gibt etliche Ausnahmen

Zugegeben, die Aufzählung ist rudimentär, klingt beinahe so, als gäbe es nur diese drei Möglichkeiten. So ist es keineswegs. Es gibt diverse andere Varianten. So beispielsweise die Bariton-Mensur, die bereits mit der eines Short-Scale-Basses vergleichbar ist. Auf der anderen Seite die Traveller-Mensuren und Shorty. Ist eine Reise-Gitarre nur halb so groß wie üblich, ist zwangsläufig auch die Mensur kürzer. Meistens.

Aber wir wollen die Verwirrung nicht überstrapazieren. Wichtig zu verstehen ist, dass die Mensur ein hocheffizientes Detail des Instrumentenbaus ist, das zum speziellen Charakter des Instrumentes maßgeblich beiträgt.

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Falls du dich noch detaillierter über die markenspezifischen Eigenschaften von E-Gitarren informieren möchtest, könnte dich dieser Artikel interessieren. Das Thema: „Der Headstock der E-Gitarre und seine Besonderheiten“.

Keine Kommentare zu “Mensur der E-Gitarre – zwischen Funktionalität und Klangrealität”
  1. Uli Funke

    Das Bild zur Erklärung der Mensur ist falsch: Am Body wird nicht vom Steg (Brücke) aus gemessen, sondern von der Saitenaufhängung.

    Antworten
    • Hallo Uli,
      du hattest recht, das Bild war falsch. Da eine Les Paul ja im Gegensatz zu vielen Gitarren Saitenhalterung und Steg getrennt hat, war der Messpunkt zu weit hinten. Schließlich wird ja nur der schwingende Teil der Saite gemessen. Wir haben das Bild überarbeitet, nun stimmt es.
      Viele Grüße,
      Nikolai
      musikmachen.de

      Antworten
  2. Olaf Walter

    Damit ist wohl auch geklärt warum man die Mensur nicht einfach Saitenlänge nennen kann .

    Antworten
  3. Noch genauer wäre es zu sagen, dass die Mensur theoretisch die Länge der frei schwingenden Saite ist.
    Aufgrund von verschiedenen Faktoren stimmt das aber, vor allem mit Metallsaiten, nicht genau.
    Daher sind bei E-Gitarren und Bässen die Saitenreiter für jede Seite individuell verstellbar.
    Am genauestens wäre die Aussage, dass die Mensur dem Doppelten des Abstands vom Sattel (oder Nullbund) zum 12ten Bund entspricht.

    Antworten
  4. Roland Engels alias Ronny Guittar

    Nicht nur für einen Teil des Klangs ist die Mensur entscheidend, sondern insbesondere ist sie für Handgröße und Länge der Finger entscheidend. Mit der Fender Mensur komme ich schwer klar und kann nicht flüssig spielen, weil ich beim maximalen Spreizen meiner Finger nicht immer genau auf den Bund treffe, wo ich hin muß. Bei Gretsch oder Gibson sieht das ganz anders aus. Die paar Milimeter Längenunterschied pro Bund können für das Spiel entscheidend sein.

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  5. Mirco2000

    wohl eher 1985

    Diese Mensur kommt deshalb erst zum Schluss, zumal sie die neueste der drei wichtigsten Varianten ist. Immerhin hat der Gitarrist Paul Reed Smith seine Firma erst 1965 gegründet. D

    Antworten
  6. Ja klar, 1985. Haben wir korrigiert. Paul ist zwar ein sehr netter Mensch, habe ihn selbst mal auf einer NAMM Show interviewt, und ein extrem begabter Gitarrenbauer dazu, aber mit 9 Jahren hat er seine Firma dann auch nicht gegründet. 😉
    Viele Grüße,
    Nikolai – musikmachen.de

    Antworten
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