„Jetzt!“ heißt seit zehn Jahren das reichhaltige Angebot der Oper Frankfurt, das vor allem kleinen Operneinsteigern Tür und Herz für die magische Welt der großen Oper am Willy-Brandt-Platz öffnen will. Vom „Opernkarussell“ für Kinder ab zwei Jahren über Orchesterworkshops für Schulklassen und den 80-köpfigen Opernkinderchor bis hin zur „Opera next level“, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Proben und Vorstellungsbesuche zu günstigen Preisen vermittelt.
Check it: Die Education-Abteilung der Oper Frankfurt
- Es macht Spaß, verbotene Türen zu öffnen
- Bis zu 100 Veranstaltungen pro Jahr
- Künstler profitieren auch von der Arbeit mit den Kindern
- Auch Schüler erreichen, die sonst nie ins Opernhaus gelangten
- Zum Jubiläum in eigenen Raum umgezogen
Deborah Einspieler und ihre vierköpfige „Jetzt!“-Leitungstruppe werden nicht müde, sich in insgesamt 16 verschiedenen Programmen immer wieder Neues einfallen zu lassen, um junge Menschen für die Oper zu gewinnen. Dabei können sie unter dem langjährigen Intendanten Bernd Loebe auf ein erstklassiges Ensemble zurückgreifen. Ist doch Frankfurt bereits zum siebten Mal von der Fachzeitschrift Opernwelt in Deutschland zum führenden Haus gewählt worden.
Deborah Einspieler – seit Kindertagen mit der Oper Frankfurt verbunden
Deborah Einspieler ist bereits seit 1999 für die Education-Abteilung am Frankfurter Opernhaus für Kinder- und Jugendprojekte zuständig. Dass sie aber nach einem Vierteljahrhundert immer noch nicht die Lust an der Arbeit verloren hat, verrät ein Blick in ihre begeisterungsfähigen Augen. Sie scheint vor neuen Ideen nur so zu sprudeln: „Wir haben mit Bernd Loebe einen Intendanten, der gute Ideen hat, neugierig und aufgeschlossen ist und stets gefunkelt hat, wenn wir Neues entwickeln wollten. So ermöglichen wir Schülerinnen und Schülern einen einfachen Zugang zur Gattung Oper: In jeder Repertoire-Vorstellung können wir bis zu 100 Tickets an Schüler weitergeben, so dass permanent drei bis vier gut vorbereitete Schulklassen in unseren Vorstellungen sitzen.“
Einspieler, Jahrgang 1969, kommt nicht aus der Pädagogik, sondern wollte nach ihrem Germanistik- und Romanistikstudium eigentlich in der Presse- oder Dramaturgieabteilung beginnen. Als sie kurz vor der Jahrtausendwende mit ihrer „Education“-Arbeit anfing, lag der Bereich Kinder- und Jugendarbeit noch in den Händen einzelner engagierter Dramaturgen. „Mit Kinderopern, vielen Konzerten, Führungen für Schulklassen und Werkstatt-Formaten im Holzfoyer habe ich begonnen und aus heutiger Sicht eine Art Pädagogik ‚by doing‘ praktiziert. Bis wir gemerkt haben, junge Menschen steigen in dieses Haus als Kinder ein, gehen später in den Kinderchor und kommen als junge Erwachsene wieder.“
Die lebhafte Frau mit den beredten Gesten hat ein Arbeitsmotto. Schmunzelnd verrät sie es, während sie mit ihrem dicken Schlüsselbund rasselt: „Es macht Spaß, verbotene Türen zu öffnen.“ Sie empfindet es als großes Privileg, dass ihre Schlüssel so viele Werkstatttüren öffnen können. Mit ausgestrecktem Arm deutet sie auf das große Gebäude gegenüber: „Da drüben, unter dem Dach der sogenannten Doppelanlage von Oper und Schauspielhaus arbeiten bis zu 1.000 Beschäftigte. Kindern und Jugendlichen zu zeigen, was diese Personen alles leisten ist spannender Teil unserer Arbeit.“ Sie selbst sei schon auf den Beleuchterbrücken auf der Opernbühne herumgeturnt, als sie noch Teenager war. „War Verdis ‚Rigoletto‘ ausverkauft, war ich mit 13, 14 Jahren eben unerlaubterweise dort. Auch ich habe damals versucht, verbotene Türen aufzukriegen, um meine Neugierde und Leidenschaft für die Oper zu stillen.“
Die ersten zehn Jahre war Deborah Einspieler allein für alles verantwortlich. Schon damals gab es Konzerte, Schulprojekte und Führungen für Kinder. Zwei Jahre später waren sie schon zu dritt. „Denn wir haben gemerkt: Wir haben Operneinsteiger- und einsteigerinnen in jedem Alter.“ Mit von der Partie ist seit 2009 Sopranistin Anna Ryberg, die vorher 13 Jahre lang im Sängerensemble der Oper Frankfurt war. „Sie ist in Australien und Schweden aufgewachsen und hat immer sehr wach die angelsächsische Educationarbeit verfolgt. Die Impulse von Anna sind immer etwas unkonventioneller, spielerischer, edukativer, interaktiver im Umgang mit Kindern. Auch durch sie haben wir jetzt mehr interaktive Formate.“ Sie unterstütze die Chorkinder als Vocal Coach, damit sie lernten aus sich herauszugehen, also „zu singen und gleichzeitig zu spielen. Es ist bemerkenswert zu erleben, was unsere solistisch auftretenden Kinder dann leisten, wie professionell sie neben den Sängerinnen und Sängern aus unserem Ensemble agieren.“
Mit im Boot sei auch Iris Winkler, die vor allem die Fähigkeit auszeichne, die Spielfreude pubertierender Klassen und zurückhaltender Erwachsener zu wecken. Schülerinnen und Schüler, die einen dreistündigen Workshop zu Mozarts „Zauberflöte“ oder zu Händels „Giulio Cesare in Egitto“ absolvierten, wüssten danach genauestens, weshalb eine Bühnenfigur eine andere erdolche. „Und jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer, die einmal die Königin der Nacht gespielt hat, weiß um die Rachegedanken dieser Figur.“ Adda Grevesmühl, stellt sie die Vierte im Bunde vor, kümmere sich um alles Organisatorische den Kinderchor betreffend und begleite das Format Opernkarussell.
Spielort „Neue Kaiser“
Pünktlich zum Jubiläum in dieser Saison konnten sie in einen eigenen Raum umziehen, der nur einen Steinwurf von der Oper am Willy-Brandt-Platz entfernt liegt. Es ist die alte Schalterhalle der ehemaligen Commerzbank-Zentrale in der Kaiserstraße 30. „Der Raum wird uns großzügigerweise als Zwischenoption für eine gewisse Zeit zur Verfügung gestellt. Anfangs hieß es: Nur für eine Spielzeit bis Juli 2024. Gerade in diesen Tagen wurde der Vertrag um ein ganzes Jahr verlängert. Das war für unsere Education-Abteilung zum 10-Jährigen wie ein Extra-Geschenk.“ Gebaut ist das Gebäude als ehemalige Wechsel- und Effektenbank 1905. Unten befindet sich noch der alte Tresorraum, der den Charme eines Drehortes besitzt. „Hier könnte man einen Wes-Anderson-Film machen,“ schwärmt Einspieler. In diesem Prachtsaal spielen „Jetzt!“ bis zu 100 Veranstaltungen pro Jahr.
Wie die humorvolle Kinderoper „Rampenfieber“, deren Kulissen sich auf der kleinen Bühne formschön in den Jugendstil der einstigen Bank einfügen. Gerade stand hier noch Sakhive Mkosana aus dem Opernstudio auf der Bühne. Ein südafrikanischer Nachwuchsbariton, den Schulkinder ab sechs Jahren in der Vorstellung feierten. Wie er lustvoll Zutaten in einen großen Suppentopf rührte, während er Rossinis muntere „Lalala“-Arie trällerte, besser bekannt als „Largo al factotum“ aus „Il barbiere di Siviglia“, kam bei Mädchen und Jungen gut an. Auch Sopranistin Thalia Azrak und Ensemblemitglied Elizabeth Reiter, die bei Rossinis „Katzenduett“ humorvoll die Krallen ausfahren, ernteten Jubel der kleinen Zuschauer. Vor allem aber machten die Kinder Sakhive Mkosana immer wieder lautstark Mut, weil der librettogerecht wegen seines angeblichen „Rampenfiebers“ nicht auf der Bühne singen will. Natürlich gibt’s ein Happy End: Er zieht sich einen Superman-Umhang an, rückt die Kochmütze zurecht, steigt aufs Podest und schmettert los. Mit Rasanz und Präzision werden all drei dazu von Pianistin Angela Rutigliano und Aischa Gündisch auf der Violine begleitet.
Einspieler meint: „Unser Publikum ist divers wie diese Stadt und es ist fantastisch, auch diejenigen zu erreichen, die ohne Impuls des Elternhauses zu uns gelangen. Unsere jungen Künstler und Künstlerinnen aus dem Opernstudio profitieren von der Arbeit mit Kindern immens. Sie erleben, wie ehrlich ein junges Publikum ist. Wir sagen ihnen gerne: „Entweder Ihr bekommt die Aufmerksamkeit der Kinder oder nicht. Wenn man nicht aufpasst, steigen sie nach 90 Sekunden aus.“ „Rampenfieber“ ist auf 50 Minuten konzipiert, weil „Jetzt!“ damit anschließend noch durch die Schulen tourt. Das sei wichtig, so Einspieler, damit man auch diejenigen Kinder erreiche, die sonst nie in ein Opernhaus gelangten. Der Radius, den sie für die Schulaufführungen anfahren, beträgt 40 Kilometer. Im Juni startet die neue Kinderoper: „Die große Wörterfabrik“.
Kinder-Opernchor
Es singen zurzeit 80 Kinder im Alter zwischen neun bis 18 Jahren im Opernchor. Sie treten in dieser Saison in Puccinis „Fedora“, in Mozarts “ Zauberflöte“, in Zemlinskys „Der Traumgörge“, in Bizets „Carmen“ und in Verdis „Otello“ auf und singen darüber hinaus in zwei Weihnachtskonzerten. Warum sind es eigentlich immer mehr Mädchen als Jungs im Kinderchor? Dafür gebe es eine einfache Erklärung, so Einspieler: „Wenn die Jungs in das Alter kommen, in dem sie endlich fit werden für die ‚drei Knaben‘ in Mozarts Zauberflöte, fängt leider oft die Stimme aufgrund des Stimmbruchs an zu wackeln.“ Bei den Kleinsten begännen etwa ein Drittel Jungs und zwei Drittel Mädchen, später dünne sich das Verhältnis dann stärker aus. Aber die Jungen seien für die Oper keineswegs verloren: Viele wechselten später in die Statisterie. Ein ehemaliger Kinderchorsänger namens Rocco hat es der Education-Leiterin besonders angetan: „Er hat bis in die letzte Spielzeit alle Soli in der ‚Tosca‘ und in ‚Fedora‘ gesungen – muss aber nun wegen des Stimmbruchs eine Gesangspause einlegen. Jetzt hat er eine neue Idee: Er will einen Film über die Opernsängerin Asmik Grigorian drehen. Wir finden das am Haus alle großartig.“
Junior Card und Opera next level
Besonders stolz ist Einspieler, dass sie in der Jubiläumsspielzeit beim Format „Opera next level“ für junge Interessierte zwischen 15 und 25 Jahren über zehn gemeinsame Begegnungen an die Jugendlichen „gepitcht“ hat, die kostenlos seien: Generalprobenbesuche, Treffen mit Künstlerinnen und Künstlern, Werkstattbesuche, Begegnungen mit Regieassistenten und Korrepetitoren. „Im nächsten Jahr würde ich gerne wieder eine Taschenlampenführung nach einer Vorstellung anbieten – vielleicht mit anschließendem Übernachten in der Schalterhalle der ehemaligen Bank?“
Die einzige Voraussetzung zur Teilnehme ist der Erwerb einer Junior Card. Für 10 Euro pro Jahr sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch jeden Abend in der Oper für 15 Euro dabei. Die Junior Card kann von jedem jungen Menschen bis 29 Jahren erworben werden, richtet sich aber vor allem an Schüler, Studenten und Azubis. Das Besondere: Für die Vorstellungen hat ein Jugendlicher normalerweise nur die Chance, das Ticket zum halben Preis zu kaufen. „Wenn er die Juniorcard kauft, die ein ganzes Jahr gilt, bekommt er dieses Ticket für 15 Euro. Und kann dann auch noch einen Jugendlichen ohne Card für 15 Euro mitnehmen.“ Da viele Azubis und Studentinnen und Studenten allerdings sehr wenig Geld hätten, so Einspieler, könnten sie allein mit der Junior Card bereits Schlussproben besuchen und nähmen vor allem die kostenlosen Angebote von „Opera next level“ gerne mit. Sie ist sich sicher: „Die jungen Menschen, die wir mit solchen, extra für sie geschneiderten Angeboten erreichen, sind später großartige Vermittler.“