Musikereffekt Reverb und Hall

Höher, weiter, größer

Der Hall, auf Englisch Reverb, ist zusammen mit dem Delay der wichtigste Effekt für Musiker überhaupt. Aber warum muss ein Signal verhallt klingen? Wie setzt man Hall richtig ein und wie funktioniert Reverb überhaupt? Darum kümmern wir uns in der zweiten Folge unserer Serie über Musikereffekte.

Check it: Reverb

Der Musikereffekt Hall (Reverb) wird benutzt, um einem Klang eine natürliche Räumlichkeit oder eine ganz besondere Größe zu geben. Er kann auf verschiedene Art erzeugt werden und ist neben dem Delay der wichtigste Effekt in der Musik.

Ein Bisschen was zum Phänomen Hall

Was ist Hall überhaupt? Versuchen wir es ganz einfach, wir wollen hier ja keinen Physikunterricht starten. Eigentlich ist es nichts anderes als von Flächen in einem Raum oder einem begrenzten Bereich zurückgeworfener Schall. Diese Reflexionen werden auch wieder zurückgeworfen und so weiter. Das Signal wird dabei aber immer schwächer, bis schließlich wieder Ruhe ist. Okay, ganz so einfach ist es nicht, aber ihr seht schon, dass auch Hall in gewisser Weise auf ganz vielen Delays basiert. Nun kommen aber auch noch Dinge wie die Größe des Raums, seine Form und die Struktur der Oberflächen dazu. Denn Schall wird nie gleichmäßig zurückgeworfen, sondern ziemlich diffus. Dieses Schall-Durcheinander hören wir als Hall.

Kein Hallgerät, sondern die Fernbedienung dazu: eine LARC von Lexicon für das 300L oder 480L | Foto: Kaeßmann

Ein Klang ohne Hall?

Ein „trockenes“ Signal kommt in der Natur nicht vor. Immer hören wir von irgendwo eine Reflexion des Klanges und dazu müssen nicht mal Wände in der Nähe sein. Selbst das Singen eines Vogels, der auf unserer Hand sitzt, wenn wir auf einem Feld stehen, kommt bei unseren Ohren nicht ohne Reflexionen unseres Körpers und des Bodens an.

Und was machen wir Musiker? Wir nehmen ein Signal mit Mikrofonen ganz nah an der Schallquelle trocken auf. Das geht bis zu Vocals, die extra in einer schalltoten Gesangskabine aufgezeichnet werden. Oder wir erzeugen Signale direkt auf elektrischem Weg, beispielsweise per E-Gitarre oder Synthesizer. Das Ergebnis: ein völlig „unnatürlicher“ Klang. Nun sind Vocals in der populären Musik ein Sonderfall, denn die sollen in der Regel ja sowieso in einem Song „larger than life“ klingen. Welcher Sänger wäre schon in der Lage, ohne Verstärkung gegen eine ganze Band anzusingen? Da müssen wir also sowieso etwas machen. Aber auch viele Instrumente werden möglichst „trocken“ aufgezeichnet, um so ein sauberes Signal zu bekommen.

Was oft dabei wegfällt, sind Informationen, ohne die unser Gehirn zwar den Klang erkennt, ihn aber für unnatürlich hält: die Infos zur Ortung eines Signals im Raum. Und genau die geben wir mit einem passenden Hall-Effekt wieder zum Signal dazu. Und bevor jemand meckert: Ja, oft werden auch zusätzliche Mikrofone aufgestellt, um den Raumklang einzufangen und ihn hinterher wieder zum Instrumentensignal hinzuzumischen – aber das erwähne ich nur der Vollständigkeit halber, denn spätestens beim Line-Signal eines synthetischen Instruments gibt’s einfach keinen Rauminformationen.

Aufwendiger Software-Hall mit vielen Parametern: Rob Papen Verb 2 | Screenshot: Kaeßmann

Künstlicher Hall – mit einem Hallgerät

Okay, geben wir also dem Signal vom Mikrofon wieder seinen natürlichen Klang zurück! Egal ob auf der Bühne oder im Studio, wir mischen künstlich generierten Hall von einem Hallgerät dazu. Menschen haben dazu in ihrer tontechnischen Evolution dazu verschiedene Varianten von Maschinen erfunden, von denen ich die wichtigsten weiter unten aufgeführt habe. Und alle haben bis heute diverse Regler mit teilweise verwirrenden Bezeichnungen.

So bestimmen die Raumgröße und seine Form auch die Diffusion des Schalls, trotzdem haben manche Hallgeräte zusätzlich zu „Shape“ und „Size“ noch einen „Diffusion“-Regler. Andere verzichten auf die Form und klingen trotzdem toll. Manche Geräte (das gilt natürlich immer auch für Software) haben einen „Time“-Regler für Ausklingzeit des Halls, andere bestimmen die Länge des Nachhalls durch ein Filter, das bestimmt, wie lange die Frequenzbereiche zu hören sein werden.

Lieblings-Software-Hall des Autoren: Lexicon PCM Native Reverb | Screenshot: Kaeßmann

Das Pre-Delay

Einen Parameter haben Hallgeräte, die realistisch klingen wollen – ja, viele Bodentreter brauchen den eben nicht, da geht’s nur um die Hallfahne, nicht um „echten“ Raum – immer: das Pre-Delay (auch oft ohne Bindestrich geschrieben). Hier werden die sogenannten Erstreflexionen definiert. Das sind die Schallwellen, die als erste unmittelbar nach dem direkten Signal innerhalb der ersten 15 Millisekunden beim Hörer eintreffen.

Durch diese „Early Reflections“, wie sie in der vom Englisch dominierten Musikersprache auch genannt werden, können wir den Klang im Raum orten. Und dadurch wird der Hallklang viel realistischer. Und da das mit dem Realismus in der Musik auch wieder so seine Grenzen hat, kannst du bei vielen Hallgeräten auch Predelay-Zeiten von bis zu einer Sekunde einstellen. Immerhin sprechen wir hier ja auch vom Hall-„Effekt“.

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Hall im Einsatz – Räumlichkeit vs. unnatürliche Größe

Wir können also mit einen modernen Hallgerät einen „trockenen“ Klang wieder in ein natürlich klingendes Umfeld verfrachten. Wenn wir aber mehrere Signale in einem Mix auf verschiedene Positionen im Raum verteilen wollen, kommen wir mit nur einem Hallgerät schnell an die Grenzen. Denn man kannt die Signale zwar durch den Panorama-Regler am Mischpult von links bis rechts verteilen, aber durch das feste Pre-Delay befinden sich alle Klangquellen immer im selben Abstand zum Hörer. Es empfiehlt sich daher durchaus, auch mal zwei (reicht bei Popmusik schon völlig) oder mehr verschiedene Hall-Effekte einzusetzen. Allein durch die Veränderung des Pre-Delays beim zweiten Signal erschaffen wir schon eine tolle Räumlichkeit, die alles viel realistischer klingen lässt – oder auch völlig verkehrt, wenn du ein Signal mit voller Absicht völlig falsch platzierst. 😉

Oben schrieb ich bereits, dass zum Beispiel Vocals immer eine besondere Hall-Bearbeitung brauchen. Das gilt aber auch für andere Signale, wenn sie richtig groß und präsent klingen sollen. Eine typische Rock-Snare der 80er-Jahre? Ein fetter Synthesizer-Lead in einem Dance-Song? Alles mit Hall noch viel größer und breiter gemacht, als das eigentliche Signal im Ursprung klang!

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Dazu brauchst du zunächst mal einen dichtes, großes, aber nicht zu langes Hall-Preset mit möglichst wenig oder gleich gar keinem Pre-Delay. Natürlichkeit ist hier eben nicht das Ziel! Das Ausgangsignal ist meist einen kleinen Tick lauter als das Hall-Signal, denn es soll sehr präsent sein. Der Effekt funktioniert, wenn der Hall keine zu lange Hallfahne hinter sich herzieht, sondern das Signal den virtuellen Raum möglichst komplett ausfüllt. Ist die Hallfahne zu lang, erscheint der Sound wie ein Delay, ist sie zu kurz, wird der Sound nicht breit genug. Das Gesamtergebnis, also Ausgangssignal und Effekt-Hall zusammen mischst du je nach Funktion im Mix dazu. Pop-Vocals, ein E-Gitarren-Solo oder Lead-Synths werden entsprechend laut hinzugemischt, die breite Snare eben nicht ganz so laut.

Verschiedene Wege den Effekt Hall zu erzeugen – von klassisch bis modern

Es gibt verschiedene Methoden, künstlich Hall zu erzeugen. Die einfachste: Man nimmt einen entsprechend großen Raum, spielt das Signal darin über einen Lautsprecher ab und nimmt es an anderer Stelle inklusive dem echten Hall des Raums mit einem oder mehreren Mikrofonen wieder auf. Das ist die älteste und sicher auch „natürlichste“ Methode, einen künstlichen Nachhall zu erschaffen. Sie hat aber auch gewisse Nachteile: Erst mal braucht man einen entsprechenden Raum, also Platz. Dann hat dieser Raum in der Regel eine feste Größe, was Dichte und Nachhallzeit einigermaßen definiert. Er ist also limitiert, der Klang wird nur durch Umstellen der Lautsprecher und Mikros sowie durch Zustellen von Gegenständen verändert.

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Echo Chambers – echte Räume

Legendär sind die „Echo Chambers“ berühmter Studios wie die drei mit für verschiedenes Klangverhalten verschiebbaren Säulen ausgestatteten Räume der Abbey Road Studios in London oder die acht verschieden großen, trapezförmigen und 10 Meter unter dem Gebäude liegenden Räume der Capitol Studios in Hollywood.

Die Hallplatte – groß und schwer

Okay, so viel Platz hat nicht jeder, es musste also etwas Kleineres her. Das Resultat war die aus heutiger Sicht immer noch völlig überdimensionierte Hallplatte. Die besteht aus einer mindestens 1 x 2 Meter großen, frei schwingenden Stahlplatte, die durch einen elektromechanischen Wandler in Schwingung versetzt wird. Diese Schwingungen breiten sich auf der Platte aus, werden an den Rändern reflektiert und durch Mikros wieder in elektrische Signale umgewandelt. Die Verzögerungszeit lässt sich dabei durch die Position der Mikros zum Wandler bestimmen, je näher dran, desto kürzer. Und wenn man die Federn straffer einstellt, schwingt die Platte weniger und der Hall klingt schneller aus.

Doch auch das Verfahren hat ein paar echt anstrengende Nachteile: So eine Hallplatte ist zunächst mal ziemlich schwer. Dann ist sie ziemlich empfindlich, was Erschütterungen und Schall angeht. Es sollte also bloß kein LKW in der Nähe des Studios rumfahren, sonst spürt die Platte den und macht daraus Hall. Und dann ist da noch die Sache mit den fehlenden „Early Reflections“: Der so erzeugte Hall klingt unnatürlich.

Andererseits klingt der so erzeugte Hall so dicht, dass er auch heute noch gerne als Effektprogramm in allen gängigen Hall-Effekten vorkommt und gerne auf Lead-Sounds und Gesang eingesetzt wird.

Der Federhall – klein und scheppert so schön!

Nächste und deutlich kleinere Variante: der Federhall. Hier schwingt statt einer großen Platte eine kleine Feder, die an verschiedenen Stellen bearbeitet wurde, damit sich die Schwingungen nicht gleichmäßig ausbreiten und so mehr Reflexionen entstehen. Ja, das ist die absolute Kurzform, aber dieser Halleffekt kommt heute nur noch in manchen (am schönen Scheppern zu erkennenden) Effektgeräten vor, oft in Gitarren-Amps. Da sich Hallspiralen auch einfach manipulieren lassen, wird dieser Hall inzwischen meist als bewusst unnatürlicher Effekt eingesetzt.

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Hall per Algorithmus – es wird gerechnet

Seit den 80ern setzen wir Musiker meist auf elektronische Hallgeräte. Die einfachen Geräte arbeiten dabei mit rückgekoppelten Speichern, die ein Signal in gedämpfter Form vom Ausgang auf mehreren Kanälen wieder in den Eingang zurückführen. Je mehr Speicher und Kanäle ein solches Gerät besitzt, desto dichter wird der Hall. Und genau: Das zeitversetzte Rückführen eines Signals ist ein Delay!

In moderneren Hallgeräten arbeiten Algorithmen und berechnen auf speziellen Chips Pre-Delay, Raumgröße und -dichte, Abstrahlverhalten der Wände und diverse Parameter mehr. Hier entwickelt jeder Hersteller seine eigenen Algorithmen, wodurch ein Hall aus einem gerät der Firma Lexicon eben ganz anders klingt als der aus einem Hallgerät von Yamaha, Sony, Bricasti oder den vielen verschiedenen Software-Varianten.

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Faltungshall – digitale Abbilder echter Räume

Und wir wollen an dieser Stelle auch nicht den Faltungshall verschweigen, der die neueste Variante des Hall-Effekts darstellt. Hierbei wird ein echter Raum akustisch vermessen, indem man ein Signal hineinspielt und es mit einem Stereomikrofon wieder aufnimmt. Das so entstehende Audio-File wird in eine Software eingespielt, die per Filter daraus wieder den Raum emuliert. Das klingt schon ziemlich echt, aber auch hier gibt es Nachteile, die vor allem in der Rechnerleistung begründet sind. Denn auch moderne Rechner sind bis heute nur in der Lage, eine gewisse Annäherung an das Original zu berechnen.

Wie klingt unterschiedlicher Hall?

Wir wollen euch nicht gehen lassen, ohne euch nicht die wichtigsten Hall-Effekte vorzuspielen! Als Klang haben wir uns für ein ganz einfaches Klavier aus einem Sampler entschieden, das sehr nah mikrofoniert wurde. So hört das bestenfalls der Spieler, aber schon der etwas weiter weg sitzende Zuhörer hört viel mehr Raum. Bei allen Klangbeispielen hörst du zunächst das reine Klavier, nach einem Durchgang wird der Hall-Effekt zugeschaltet.

Als erstes hören wir einen Plate-Effekt, der eine Hallplatte emuliert. Eine echte Hallplatte war uns zu groß, zu schwer, ihr wisst schon …

Nun folgt ein Hallspiralen-Effekt, hier mit beachtlichen 13 Sekunden Länge. Achtet auf das „eierige“ Verhalten des Halls, das sehr schön am Ende zu hören ist.

Als drittes kommt nun ein einfacher Hall-Algorithmus der Neuzeit mit einem mittelgroßen Raum und 15 ms Pre-Delay.

Jetzt nehmen wir einen teuren Hall-Algorithmus mit einem mittelgroßen Raum und ebenfalls 15 ms Pre-Delay.

Zum Abschluss haben wir hier noch einen Faltungshall mit einem Raum der Hansa Studios in Berlin.

Wir ihr hört, klingen die unterschiedlichen Hall-Varianten auch sehr unterschiedlich. Inzwischen hat sich eine mehr oder weniger friedliche Koexistenz verschiedener Hall-Varianten eingestellt. Surf-Gitarristen schwören auf den Federhall, Sängerinnen und Sänger pfeifen aufs Pre-Delay und wollen möglichst präsent sein, im Musik-Mixdown in großen Studios kommen meist Hallgeräte auf Algorithmus-Basis zum Einsatz. Und wer es besonders räumlich mag, nimmt vielleicht einen Faltungshall.

Mit Hall und Delay kommt man schon mal ziemlich weit im Mix. Lies auch unseren Artikel zum Thema Delay!

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